Helmut Tiefenthaler
Ein Kulturwanderweg
quer durch Vorarlberg
Auf historischen Routen vom Kleinwalsertal
ins Rheintal
Noch im 19. Jahrhundert hat es keine Fahrstra-
ßen gegeben, auf denen man vom Kleinwalsertal
in den Bregenzerwald und von dort über Damüls
ins Rheintal kommen konnte. So war es Jahr-
hunderte lang ganz normal, zu Fuß mit allerlei
Gepäck auf dem Rücken von Tal zu Tal zu wan-
dern. Nur wenige konnten es sich leisten, zu
Pferd zu reisen, und selbst dieser Luxus war auf
den Bergpfaden kein Vergnügen. Oft musste
man bei Regen, Nebel und widerlich stürmi-
schem Wetter reisen und nicht selten im Schnee
über die Jöcher stapfen.
Das Wandern ist erst zum Freizeitvergnügen
geworden, seit man sich dazu die besten Wege,
gutes Wetter und auch einladende Gasthöfe zum
Einkehren und Übernachten aussuchen kann. In
den gar nicht so „guten alten Zeiten“ waren die
meisten Wanderer durch ihre Armut gezwungen,
in mehr als zehnstündigen Tagesmärschen mög-
lichst weit zu kommen, um sich das Geld für ein
Nachtquartier zu ersparen. Dass das einmal
anders werden sollte, hat immerhin schon Franz
Michael Felder um die Mitte des 19. Jahrhun-
derts kommen sehen. Zu seiner Wanderung von
Schoppernau über das Starzeljoch ins Kleinwal-
sertal meinte er: „An heiteren Sommertagen ist
dieser Weg oder vielmehr dessen Umgebung
sehr schön und jenen Vergnügungsreisenden zu
empfehlen, welche einmal in einer Alphütte gute
Milch trinken und dabei die armen Bergheuer
an der nördlichen Seite der Üntschenspitze und
des Widdersteins herumklettern sehen möchten.
Ist aber so schlechtes Wetter, wie an dem Sams-
tag, an dem wir uns auf die Reise machten, so
wüsste ich wahrhaftig keine langweiligere
Strecke Weges oder Alpenpfades zu nennen.“ Im
dichten Nebel musste er ständig befürchten, sich
Die Wanderroute Kleinwalsertal - Bregenzerwald - Rheintal
zu verlaufen. Zu seiner Zeit gab es zur Orientie-
rung weder Wegweiser noch Markierungen.
Viele Alpwege waren zudem in schlechtem Zu-
stand, vernässt und vom Viehtrieb zerwühlt.
Da ist es kein Nachteil, wenn so manche histo-
rische Wegstrecken nicht mehr ganz im ursprün-
glichen Zustand erhalten und heute viel beque-
mer begehbar sind. Daneben gibt es aber auch
heute noch so manche gute Bergwege, bei denen
am früheren Original fast nichts verändert wur-
de. Dort kann das Wandern heute noch wie auf
einer Zeitreise in vergangene Jahrhunderte erlebt
werden.
Die heutigen Wanderer sind viel anspruchs-
voller als ihre Vorfahren. Sie erwarten sichere
und gut betreute Wege mit zuverlässiger Orien-
tierung. Dabei sollten auch die Erinnerungen an
alte Zeiten etwas Genüssliches an sich haben.
Auf diese gehobenen Ansprüche ist in Vorarl-
berg das Wanderwegekonzept des Landes aus-
gerichtet, dessen Realisierung seit den 1990er
Jahren schon weit fortgeschritten ist. Dabei wur-
de auch getrachtet, so weit wie möglich histo-
rische Routenführungen in das Wegenetz einzu-
beziehen und landschaftlich attraktive Hauptrou-
ten von Tal zu Tal zu verknüpfen. Auf diese Wiese
konnte inzwischen ein neuer Kulturwanderweg
fertiggestellt werden, auf dem sich eine viertägi-
ge Wanderung vom Kleinwalsertal ins Rheintal
genießen lässt.
In vier Tagen über Berg und Tal durchs Ländle
1. Tag: Baad – Schoppernau 5 ¼ Stunden
Baad (1220 m) ist der hinterste Ort im Kleinwal-
sertal mit der letzten Haltestelle des ab Oberst-
dorf halbstündig verkehrenden Walserbusses.
Der Ortsname erinnert an das alte Schwefelbad,
das dort vom 15. bis ins 19. Jahrhundert bestan-
den hatte. Vom Vorarlberger Rheintal muss man
heute mit insgesamt etwa vier Stunden Fahrzeit
rechnen, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln
dorthin zu kommen. Dazu wählt man entweder
die Bahnlinie über Lindau – Immenstadt oder
die Busverbindungen über Hittisau nach Oberst-
dorf. Da kann es am bequemsten sein, schon am
Tag vor der Wanderung anzureisen und im
Kleinwalsertal zu übernachten.
Seit jeher war es am einfachsten, vom Oberall-
gäu her ins Tal zu kommen. Nach der Einwan-
derung der Walser gehörte Mittelberg zusam-
Blick vom Starzeljoch und der Starzelalpe ins Kleinwalsertal
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men mit Warth, Lech und Schröcken bis 1563
zum Walsergericht Tannberg. Damals waren die
Pfade über den Gemstelpass und den Hochalp-
pass die wichtigsten Verbindungen der rund um
den Widderstein wohnenden Walser. Wer nach
Bregenz wollte, wählte am liebsten den Weg
über den Hörnlepass und über Sibratsgfäll –
Hittisau. Nachdem an der österreichisch-bayri-
schen Grenze gegen Ende des 18. Jahrhunderts
Zollstellen eingerichtet worden waren, wurde
der alte Alp- und Saumweg über das Starzeljoch
für den Viehhandel und die meisten inländi-
schen Warentransporte zur Hauptverbindung
durch den Hinteren Bregenzerwald. Das änderte
sich erst 1891 nach der Beseitigung der Zoll-
schranke auf der Walserschanz.
Um heute über das Starzeljoch zu wandern,
geht man von Baad zunächst auf einem Fahrweg
zur Turaalpe. Dabei kommen wir am Hochtal
des Derrenbaches und der Spitalalpe vorbei.
Diese Alpe wurde vom 15. bis ins 18. Jahrhun-
dert vom Lindauer Heilig-Geist-Spital genutzt,
das sein Vieh durch den Bregenzerwald und
über das Starzeljoch aufgetrieben hatte. Bei der
Inneren Turaalpe wechselt die Wanderroute vom
Fahrweg auf den alten Säumersteig, der heute
noch im früheren Verlauf zur Starzelalpe und
dort über aussichtsreiche Alpweiden zum 1867 m
hohen Starzeljoch führt. Auch wenn man heute
keine Bergheuer mehr herumklettern sieht, ist
hier die Gebirgslandschaft von technischen Ver-
änderungen noch so unversehrt, als sei die Zeit
seit Jahrhunderten stehen geblieben. Diesen Ein-
druck hat man zum Glück auch noch, wenn man
vom Joch auf der Bregenzwälder Seite talwärts
wandert. Der historische Saumweg endet bei der
Althornbachalpe. Von da ist es auf andere Art
ein Genuss, auf einem fast ebenen Fahrweg zur
Neuhornbachalpe und zum Neuhornbachhaus zu
spazieren und den Blick über die Bergwelt des
Hinteren Bregenzerwalds schweifen zu lassen.
Erst bei der Falzalpe zweigen wir auf einen Fahr-
weg ab, der bis Schoppernau einen Höhenunter-
schied von fast 800 Metern überwindet. Da lässt
sich im Abwärtsgehen auch der Bergwald etwas
näher betrachten, der hier wegen seiner gut er-
haltenen Natürlichkeit als Großbiotop von be-
sonderer Schutzwürdigkeit gilt.
In Schoppernau betreten wir die Heimat von
Franz Michael Felder. Hier sehen wir an der
Straße heute noch das Haus, in dem er 1839 ge-
boren wurde und gelebt hat. Auf dem Dorf-
friedhof finden wir das Grab, in dem er als Drei-
ßigjähriger beerdigt worden ist, nachdem er ein
ungewöhnlich reiches literarisches Erbe zustan-
de gebracht hatte. Wer seine Erinnerungen „Aus
meinem Leben“ gelesen hat, weiß, wie wenig
der zu seiner Zeit als Sonderling geltende Franz-
michel von seinen Mitbürgern verstanden wor-
den war. Doch Schoppernau hat sich inzwischen
gewandelt, und die heutigen Schoppernauer sind
stolz auf den „schreibenden Bauern“ von einst.
Das erkennt man auch, wenn man das im Jahr
2003 eröffnete Franz Michael Felder – Museum
besucht.
2. Tag: Schoppernau – Damüls 5 ½ Stunden
Ein Tag im Hinteren Bregenzerwald. Er beginnt
in Schoppernau – die Kanisfluh vor Augen – mit
einem gemächlichen Morgenspaziergang der
Bregenzerach entlang nach Au. Obschon dieser
Teil des Achtales als „Jaghausen in den Owen“
erst im Spätmittelalter besiedelt worden ist, hat
die Gegend alles an sich, was für die Wälder
Kulturlandschaft charakteristisch ist. Das sieht
man schon an der Bauweise der alten Bauern-
häuser und an den Vorsäßen in den Hanglagen.
Man mag sich aber auch an die Armut in frühe-
ren Zeiten erinnern, als viele Männer gezwun-
gen waren, Jahr für Jahr als Saisonarbeiter in die
Fremde zu ziehen. Die Auer waren immerhin
klug genug, im 17. und 18. Jahrhundert die Kon-
junktur des Barockbaus zu nutzen und die Arbeit
als „Fremdler“ in einer eigenen Zunft zu organi-
sieren. Bei ihren Saisonwanderungen sind viele
auch über Damüls ins Rheintal und weiter in die
Schweiz gezogen. Einer der bekanntesten Auer
Barockbaumeister war Caspar Moosbrugger
(1656-1723), der als Klosterbruder in Einsiedeln
zum maßgeblichen Planer der dortigen Barock-
kirche geworden ist. So folgen wir auch den
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Die Bregenzerach zwischen Schoppernau und Au mit Blick auf die Kanisfluh
Spuren von Caspar Moosbrugger, wenn wir
durch das Argental nach Damüls andern.
In Au als dem Hauptort der Wälder Barock-
baumeister mag man sich wundern, dass die im
15.-17. Jahrhundert entstandene gotische Pfarr-
kirche äußerlich eher bescheiden anmutet. Die
Auer haben sich in ihrer eigenen Kirche erst so
spät zum Barock bekannt, als dieser bereits im
Übergang zum verspielten Rokoko war. Das
1778-80 neu gestaltete Innere hat dadurch im-
merhin an freundlich heller Raumwirkung ge-
wonnen.
Wenn man bei der Pfarrkirche die Hauptstraße
und die Achbrücke überquert hat, biegt man
nach rechts auf eine Gemeindestraße ab. In ihrer
Verlängerung zieht sich ein Feldweg dem Hang-
fuß entlang bis zur Straßenbrücke über den Ar-
genbach. Von dort geht man ein paar Minuten
dem Bach entlang und dann auf einem etwas
stark ansteigenden Fahrweg im schattigen Berg-
wald aufwärts. Nach ein paar Serpentinen er-
reicht man den Vorsäß Eilers Argen. Nun führt
der Weg – übrigens durchgehend bis Damüls als
bequem begehbarer Fahrweg – vorwiegend durch
Wiesenhänge, auf denen zunehmend mehr Aus-
sicht gewonnen wird. Bei der Hütte von Leo-
pölders Argen teilt sich der Weg. Mit weiß-blau-
weißer Markierung zweigt ein uralter Fußweg
ab, der im scharf eingeschnittenen Tobel des
Äfinbachs oft gefährlich zu begehen war. Dieser
Weg ist auch heute noch nicht so sicher, dass
man ihn allgemein empfehlen könnte. Daher
wählen wir bei unserer Route einen längeren,
dafür aber wesentlich besseren Weg, der ohne
größere Auf- und Abstiege von Alpe zu Alpe
führt: Schneelochalpe, Vordere Kriegbödenalpe,
Untere Gumpenalpe und schließlich mit Blick
auf Damüls die Bödmenalpen. Oberhalb der
Hinteren Bödmenalpe erreicht man den alten
Walserweg, der Damüls mit Faschina verbindet.
Bis 1985, als die mit einer langen Lawinen-
galerie versehene Faschinastraße fertiggestellt
wurde, bildete dieser Weg die Hauptverbindung
zwischen den Walsern beiderseits des Faschina-
jochs. Auf diesem Weg geht man zuletzt kaum
noch eine halbe Stunde bis zum 1420 m hoch
gelegenen Dörfchen Damüls.
Auf den Höhen am Übergang von Argental,
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Großem Walsertal und Laternsertal verraten die
Alp- und Bergnamen, dass hier die Kultivierung
schon vor der Zuwanderung der deutschsprachi-
gen Walser weit fortgeschritten war. Damüls,
Uga, Furka, Portla, Faschina und Zafera sind rä-
toromanische Namen. Die Ansiedlung der aus
dem Wallis zugewanderten Bauernfamilien er-
folgte im Alpgebiet von Damüls und Uga zu
Beginn des 14. Jahrhunderts. Bald verfügten die
verstreut wohnenden Bergbauern über ein
Kirchlein und seit 1382 über eine eigene Pfarrei,
zu der bis 1676 auch Fontanella gehört hat. Zu-
sammen mit Fontanella hatte Damüls bis 1806
auch ein eigenes Gericht. Der Gerichtsrat be-
stand aus „by Schöffen“, die vom Volk gewählt
waren. Auf diese „Byschöffen“ geht der in
Damüls so verbreitete Familienname Bischof
zurück. Da hat es schon manchem Pfarrer Spaß
gemacht, als Ministranten möglichst Buben mit
diesem Namen zu wählen. So konnte er sich
ohne Übertreibung rühmen, dass ihm bei fast
jeder Messe mindestens ein Bischof ministriere.
3. Tag: Damüls – Innerlaterns 5 ¾ Stunden
Der erste Halt am dritten Wandertag ist bereits
in Damüls selbst, wo der Weg an der mittelalter-
lichen Pfarrkirche St. Nikolaus vorbeiführt, an
der man allerdings nicht vorbeigehen kann. Sie
ist ein spätgotischer Bau mit dem Meister-
zeichen „1484 Roll Maiger von roetis maister
dis hus“. Im Innern beeindrucken vor allem die
um 1490-1500 entstandenen Fresken an den
Langhauswänden und an der Chorwand, die
1950 wieder aufgedeckt worden sind. Die Nord-
wand umfasst zwanzig Bilder der Passion Christi.
Über dem Chorbogen ist das Jüngste Gericht
nach der Vision der Apokalypse dargestellt. Die
Südwand zeigt Bilder der leiblichen Werke der
Barmherzigkeit und der Krippe mit den Weisen
aus dem Morgenland. Auch in der flachen Holz-
decke mit der Jahreszahl 1693 sind einzelne Fel-
der bemalt. Besonders beachtenswert sind das
gotische Sakramentshäuschen von 1485 im Chor,
eine Statue des Walserheiligen St. Theodul (15. Jhdt.)
auf dem rechten Seitenaltar, ein geschnitzter
Pest-Christus (um 1630/40) am linken Seiten-
altar und das alte Gnadenbild Maria Re an der
Langhauswand.
Von der Pfarrkirche führt ein Fußweg zu den
obersten Häusern von Oberdamüls und weiter
zur OberdamülserAlpe. Nahe dem dortigen Weg-
weiser sieht man links vom Alpweg die originell
mit Steinplatten gedeckte Kapelle Stofel. Der
schlichte Steinbau dürfte nach der an der kleinen
Fensteröffnung zu erkennenden Datierung aus
dem Jahre 1689 stammen. Der Weiterweg zieht
sich mit geringen Höhenunterschieden durch
Alpweiden und um den Südhang des Portla-
kopfes herum zur Portlaalpe. Von dort gehen
wir im Verlauf des historischen Alp- und Saum-
wegs dem Furkajoch zu. Wo der alte Weg beim
Bau der heutigen Straße verloren gegangen ist,
kommen wir nicht daran vorbei, auf einer
kurzen Strecke bis zum Joch der Straße entlang
zu gehen. Am früheren Saumweg befand sich
auf dem 1759 m hohen Übergang ein kleiner ge-
mauerter Bau, den man „’s Kappele“ nannte. Der
gewölbte Raum diente vor allem als Notunter-
kunft für Jochwanderer.
Darstellung des heiligen Georg (Fresko um 1500) in der
Pfarrkirche Damüls5
Kapelle Stofel auf der Oberdamülser Alpe
Für die Damülser war der Bergpfad über das
Furkajoch lange Zeit die wichtigste Verbindung
mit der Außenwelt, weil sie ihr Brotgetreide
meistens aus dem Rheintal bezogen hatten.
Kreishauptmann Ebner berichtete 1836: „Das
ganze Getreide und Mehl muß aus anderen Ge-
genden herbeigeschafft werden, und zwar auf
dem Rücken der Bewohner selbst, denn in ganz
Damüls befindet sich – ein Beweis für die Armut
des Tales – in der Regel kein einziges Saum-
pferd.“ Ab 1900 war es immerhin möglich, von
Au aus auf einem bescheidenen Fahrweg nach
Damüls zu kommen. 1948 wurde das Furkajoch
vom Bad Laterns her mit einem Alpsträßchen
erschlossen. Nach den letzten Lückenschlüssen
im Alpstraßenbau hat man es für ein Gebot der
Tourismusförderung gehalten, die Straße für das
allgemeine Motorengebraus freizugeben.
Unsere Wanderroute weicht auf dem Furka-
joch wieder gänzlich von der Straße ab. Von da
geht man über Alpweiden zur Gampernestalpe
und im Verlauf des uralten Saumwegs talwärts
zur Brücke über den Sacktobel. Von der Agten-
waldalpe wandert man auf einem fast ebenen
Alpsträßchen weiter. Wo dieses in die Furkajoch-
straße einmündet, biegt unsere Route auf einen
Waldweg ab, auf dem man zur Frutz und nach
ihrer Überquerung zum Bad Laterns (1147 m)
gelangt.
Das Bad hat eine lange Geschichte. In der
1685 gedruckten Prugger’schen Chronik ist zu
lesen, dass es „für vil gebrechen deß mensch-
lichen leibs sehr heilsamb“ und im Sommer von
vielen Leuten besucht sei. Um 1900 wurde es in
der Fremdenverkehrswerbung als „klimatischer
Kurort und Wasserheilanstalt“ empfohlen und
noch in den 1930er Jahren als Erholungsort ge-
schätzt. Im Zweiten Weltkrieg haben die Bade-
kuren aufgehört, doch das „Bädle“ ist ein bevor-
zugter Ausgangspunkt für Wanderungen und mit
seinem Fischweiher ein gastlicher Rastplatz ge-
blieben.
Vom Bad Laterns führt die Route etwa fünf
Minuten der Straße entlang zum Garnitzabach,
wo ein Forstweg abzweigt. Im schattenkühlen
Bergwald wandert man auf dem Riedleweg etwa
eine halbe Stunde gemütlich aufwärts, dann ab-
wärts und zuletzt durch Bergwiesen der Innerla-
ternser Parzelle Kühboden zu. Wenn der Riedle-
weg von November bis Ende Mai aus Gründen
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der Wildfütterung gesperrt ist, weichen die
Wanderer schon im Bad Laterns auf den Weg
über Gerstenböden aus, auf dem man in der
gleichen Zeit zum Kühboden und nach Inner-
laterns kommt.
4. Tag: Innerlaterns - Rankweil 4 ½ Stunden
Ein Gang durch das Laternsertal macht uns mit
einem Gebirgstal vertraut, das all das Typische
einer von Walser Bergbauern geprägten Kultur-
landschaft an sich hat. Und doch reichen hier die
Anfänge der Kultivierung bis in vor- und früh-
geschichtliche Zeiten zurück. Viele rätoromani-
sche Flurnamen erinnern daran, dass das Tal im
Früh- und Hochmittelalter von Bauern des Vor-
derlands als Alpgebiet genutzt wurde. Von der
Ansiedlung von „erbaren Wallisern“ erfahren
wir zum ersten Mal aus einer Urkunde von 1313.
Damals hatte Graf Rudolf IV. von Montfort-
Feldkirch das Gut „Glatterns“ und die „alpe ze
camphal“ (Gapfohl) an sechs aus dem Wallis
eingewanderte Familien als Erblehen gegeben.
Damit hat die Dauerbesiedlung mit weit ver-
streuten Einzelhöfen begonnen. Die Walser kon-
nten auf richtige Dörfer leicht verzichten, doch
jedes Siedlungsgebiet sollte wenigstens einen
Mittelpunkt mit einer Kirche und einem Wirts-
haus haben. So sind auf der Sonnenseite die
kleinen Schwerpunkte Thal, Bonacker und In-
nerlaterns entstanden. 1529 wurde Laterns mit
der Kirche in Thal eine eigene Pfarrei. Die Schat-
tenseite blieb mit Ausnahme der vorübergehend
bewohnten Rodungsinsel Wies unbesiedelt. Der
dortige Bergwald war aber wichtig, um mit
Holzen und Flößen von Brennholz auf der Frutz
zu etwas Nebenverdienst zu kommen. Zu den
Winterbeschäftigungen haben auch andere Holz-
arbeiten – besonders das Herstellen von Kübeln
– gehört. Solange eine Zufahrtsstraße von Rank-
weil her gefehlt hat, haben sich die Laternser
aber mit sehr bescheidenen bergbäuerlichen Le-
bensbedingungen zufrieden geben müssen.
Die Route des vierten Wandertags führt in
Innerlaterns zunächst zur Hangterrasse des Küh-
bodens (1145 m) und im Wald weiter aufwärts
zur Stürchersäge. Von dort geht man auf einem
Höhenweg abwechselnd durch Bergwald, Tobel
und aussichtsreiche Bergwiesen talauswärts. In
Obermazona und Oberbonacker nähern wir uns
den höchstgelegenen Berghöfen. Von da geht es
abwärts zum Dörfchen Laterns-Thal. Auf dem
Kapelle am Stöckweg zwischen Laterns-Thal und Suldis
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Weiterweg folgt die Route dem Stöckweg, der
im 19. Jahrhundert oberhalb der heutigen Zu-
fahrtsstraße als erster bescheidener Fahrweg ins
Tal benützt werden konnte. Hier geht es im
Bergwald zunächst aufwärts zur Stöckkapelle
und von dort bergab gegen Suldis und Batschuns
zu. Reizvolle Ausblicke ins Rheintal tun sich
zwar schon unterwegs im Laternsertal auf, doch
in den Hanglagen der Gemeinde Zwischenwas-
ser erreichen wir die eigentlichen Aussichtsbal-
kone über der Talebene. In Batschuns nimmt die
Route allerdings eine Abkürzung, bei welcher
der Weg vom Gasthaus Waldrast über Unter-
batschuns und über die Frutzbrücke nach Rank-
weil führt.
Nun ist es nicht mehr weit zum alten Rank-
weiler Dorfkern (480 m) am Fuße des Liebfrau-
enbergs. Hier betreten wir uralten Kulturboden,
der schon lange vor der Römerzeit bewohnt war
und wo sich an der römischen Heerstraße zwi-
schen Graubünden und dem Bodensee ein
wichtiger Stützpunkt befand. In karolingischer
Zeit war der als „Vinomna“ oder „Ranguila“ ge-
nannten Ort Sitz des Gaugerichts für ganz Un-
terrätien und Standort eines Königshofes. Die
schon 817 erwähnte St. Peterskirche ist eine der
ältesten Kirchen Vorarlbergs. Auf dem Lieb-
frauenberg wurde an der Stelle der im 14. Jahr-
hundert abgebrannten „Veste Rankwil“ im 15.-
17. Jahrhundert die heutige Bergkirche erbaut.
Damit wurde Rankweil zu einem überregional
bedeutsamen Wallfahrtsziel, an dem Pilgerwege
von allen Seiten sternförmig zusammenkom-
men. Spätestens jetzt mag man sich daran erin-
nern, dass auch die Wanderroute vom Kleinwal-
sertal und Hinteren Bregenzerwald über das
Furkajoch seit dem späten Mittelalter ungezähl-
ten Pilgern als Wallfahrtsweg nach Rankweil
gedient hat.
Wandertage für Genießer
Wenn man die nach durchschnittlichen Gehzei-
ten bemessenen Tagesetappen zusammenrech-
net, kommt man auf insgesamt etwa 21 Stunden.
Mit einem sportlichen Schnellschritt könnte man
die gesamte Wegstrecke von Baad im Kleinwal-
sertal wohl auch in 15 Stunden schaffen. Solche
Leistungen wurden von armen Wanderern frühe-
rer Zeiten, die sich Übernachtungen ersparen
wollten, mitunter auch an einem einzigen Tag
bewältigt. Wer heute schnell ans Ziel kommen
will, wählt allerdings lieber ein motorisiertes
Verkehrsmittel, als zu Fuß zu gehen.
Es ist freilich ein Unterschied, ob man sich in
einer Zeit mit allgemein langsamen Lebensab-
läufen zwischendurch einen anstrengenden Tag
mit schnellem Schritt leistet oder ob man sich in
einer Zeit der ungeduldigen Rasanz umgekehrt
den Luxus des Zeithabens gönnt. So wurde diese
Wanderroute in vier Etappen geteilt, bei der sich
zum Ausgleich eine erholsam „bewegte Ruhe“
genießen lässt.
Wer das Wandern nicht einseitig verzweckt,
sucht im Erlebnis der Langsamkeit ein Harmo-
nieren von Körper, Seele und Geist. Dazu darf
man in vielerlei Hinsicht anspruchsvoll sein.
Das beginnt bereits bei der Wahl der Jahreszeit
und der Schönwetterwahrscheinlichkeit. Wer die
Alpenflora in ihrer schönsten Pracht erleben
will, bevorzugt zum Wandern den Frühsommer,
wenn die Berge zumindest bis in Höhenlagen
von 2000 Metern schneefrei sind. Die mehrtägi-
gen Wetterprognosen machen es möglich, trü-
ben Regentagen auszukommen.
Die Wegverhältnisse können sich zwar immer
wieder ändern, doch im Allgemeinen ist für aus-
reichende Sicherheit vorgesorgt. Die Wegwei-
sung sollte es sogar erlauben, jedes an einem
Ausgangspunkt angeschriebene Ziel auch ohne
Wanderkarte problemlos zu erreichen. Dennoch
ist es vorteilhaft, eine gute Wanderkarte bei sich
zu haben. Mit Rücksicht auf die Neugestaltung
des Wegenetzes braucht es allerdings Wander-
karten mit einer ab dem Jahre 2000 erfolgten
Aktualisierung.
Wer eine Wanderung in den frühen Morgen-
stunden beginnt, hat zumeist genügend Zeit, sich
am Etappenziel nach einer geeigneten Über-
nachtungsmöglichkeit umzusehen. Dennoch ist
– zumindest in der Hochsaison und für Wander-
gruppen – eine rechtzeitige Vorbestellung von
Vorteil. Diese wird durch die örtlichen Touris-
musbüros gerne vermittelt. Wer am Ort nicht
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lange nach einem Quartier suchen muss, kann
sich auch unterwegs mehr Zeit lassen.
Wandern ohne auf die Uhr zu sehen, gehört
zum Luxus des Zeithabens. Mit einer „Kultur
der Gemächlichkeit“ gelingt es auch eher, die
Vier-Tage-Route quer durch Vorarlberg als Kul-
turwanderweg zu verstehen. In der Langsamkeit
kann aus dem Weg auch noch mehr werden. Er
kann von Außen nach Innen führen und mit
Peter Handke die glückliche Erfahrung machen
lassen: „Nur der Geher holt sich ein und kommt
zu sich.“
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