Wir spüren sie, die „Krise“, allenthalben. Manche
sind direkt betroffen, am Arbeitsplatz, bei Finanzie-
rungen, bei der erschwerten Suche nach Arbeit
usw. Wir alle sind – darüber hinaus – Betroffene
der beinahe stündlichen „Bekriselung“, in der wir
unzählige Krisensymptome aus der ganzen Welt
laufend serviert bekommen und irgendwie begierig
aufsaugen. Fast so, als ob wir immer mehr Gründe
dafür suchen und brauchen, um berechtigt „Angst“
haben zu dürfen. Unsicherheit und Angst ist das,
was uns derzeit vereint.
Wenn wir konstatieren, dass es globale, krisen-
hafte Entwicklungen gibt (Krise, das bedeutet
eine Situation, in der es so wie bisher nicht
mehr weiter geht, und für deren Bewältigung
die bisherigen Mechanismen nicht greifen),
dann können wir uns die – höchst spannende –
Frage stellen, was wir in unserem Land als
(kleine) Region in dieser Situation tun können.
Können wir überhaupt etwas tun? So viel
Geld, um der weltweiten Krise eine Wende zu
geben, hat das durchaus solid aufgestellte
Vorarlberg nun wirklich nicht. Müssen wir
also warten, bis und wie sich der weltweite
Trend entwickelt – hängen wir mit drin, so
oder so?
Ich möchte im Folgenden, auf dem Hinter-
grund der Erfahrungen, die wir im psychoso-
zialen Bereich mit dem Umgang von Krisen
haben, ein paar Optionen für uns im „Ländle“
andenken.
Zusammenrücken
In Krisen rücken Menschen zusammen. Sie
treffen sich öfters, sorgen sich mehr um sich,
sie nehmen sich wahr und helfen einander.
Auf Vorarlberg umgesetzt könnte das – z.B.
für die nächsten zwei Jahre – heißen: ange-
sichts der Krise werden keine Mitarbeiter ent-
lassen, alle Jugendlichen bekommen einen
Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, bei Kredit-
und Rückzahlungsschwierigkeiten finden die
Banken unbürokratisch Lösungen, öffentliche
Hilfen (wie Arbeitslosengeld und Notstands-
hilfe, Sozialhilfe, Wohnbeihilfe usw.) werden
innerhalb einer Woche erledigt, es gibt einen
Fonds für flexible und kurzfristige Über-
brückungshilfen, wir haben ein besonderes
Augenmerk auf die Schwachen und Benach-
teiligten usw.
In der Krise definiert sich das „Wir“ neu.
Vielleicht als Chance für eine neue – regionale –
Identität.
Im Hier und Jetzt bleiben
Krisen beinhalten das Risiko, dass wir „wie in
Trance“ leben – entweder wie Zuschauer mit
der Hoffnung, nicht involviert zu werden oder
als Involvierte mit dem Gefühl, (fern-)gesteuert
zu sein. Aus der Psychotherapie wissen wir:
Relevant ist, was jetzt, unmittelbar ist. Ein
gutes Gespräch jetzt ist wichtiger als die
Ungewissheit, was morgen ist. Eine friedliche,
sichere, bunte Heimat heute ist besser als die
Unsicherheit der Zukunft. Als Gegenpol zu
Diffusität und Unsicherheit tut es gut, zum
Fenster hinaus zu schauen, in die Natur hinaus
zu gehen, zu spüren, dass „das Ländle“ trägt,
die Vielfältigkeit unserer Region wahrzuneh-
men und „einzuatmen“. Zu spüren, was ist –
das ist eine gute Alternative zur Bedrohung
von außen.
Krisenfest(er) sind Menschen bzw. Regionen,
die realistisch sind und gut am Boden stehend
Wahlmöglichkeiten haben. Vorarlberg hat
diese, wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Feuer und Asche unterscheiden
Krisen fordern uns heraus, Altes und Überhol-
tes („die Asche“) vom Lebendigen, dem Aktiven
und Brennenden (dem „Feuer“) zu unterscheiden,
wie der Volksmund meint. Wenn wir schon
nicht wissen, was morgen auf uns zukommt,
dann könnten wir ja unser Heute aufräumen,
durchlüften, neue Türen aufmachen und etwas
von dem tun, was wir immer schon tun sollten
oder wollten. Manchmal braucht ein Feuer
nicht mehr Holz, sondern einen frischen Wind.
Lassen wir ihn zumindest zu.
Kritischen Diskurs fördern
In einer Situation, wo wir alle Betroffene sind
und es (weltweit) keine Therapeuten gibt, soll-
ten wir – statt zu verstummen – beginnen, zu
diskutieren. Alle Meinungen sind gefragt, jede
Sichtweise ist ein Teil des Ganzen, das wir zu
verstehen suchen, Unterschiede sind erwünscht.
Die Verschiedenheit unserer Landschaften,
unserer Dörfer und Talschaften,
unserer Kulturen und Sprachen
usw. – all das sind jetzt Chan-
cen. Öffnen wir die Türen in
unseren Häusern, Stamm-
tischen, Plätzen, Rathäusern
und Kirchen zum offenen
Diskurs.
Schon 1985 beschrieb Hoimar
von Ditfurth in seinem Buch
„So lasst uns denn ein Apfel-
bäumchen pflanzen“ den über
kurz oder lang nahezu unaus-
weichlichen Untergang der
Zivilisation und der Biosphäre
aufgrund von Massenvernich-
tungswaffen und Umweltzer-
störung. Inzwischen sind viele
Gewässer wieder sauber, alter-
native Energien sind „in“, eine
atomwaffenfreie Welt gilt als
Vision. Vielleicht sollten wir –
gerade heute – in unserem Land
Apfelbäume pflanzen, Kinder
bevorzugen, überall im Land
„Bänkle“ aufstellen, kritische
Lernräume eröffnen, miteinan-
der singen, älteren Menschen
zuhören, Schule neu denken,
die Nachbarn einladen, Türkisch
lernen, unser Wasser genießen.
Und vieles mehr.
Die Krise ist überall, die Chance ist hier.
Stefan Allgäuer, Geschäftsführer des Instituts
für Sozialdienste (IfS) in Röthis
E-Mail: allgaeuer.stefan@ifs.at
www.ifs.at
,,In der Krise definiert
sich das Wir neu.
Vielleicht als Chance
für eine neue –
regionale – Identität“
In der Architektur sind Lebensum-
stände ablesbar. Ob ein armes Berg-
volk, ein Herrschaftshaus, ein erfol-
greiches, modernes Unternehmen –
man sieht anhand des Bauens und
Wohnens das Bewusstsein der
Menschen für Schönheit und Kultur,
deren Umgang mit sozial schwäche-
ren Mitmenschen und die daraus
resultierenden Lebensumstände. Die
Wirtschaftskrise verändert dieses
Bewusstsein – das macht sie zur
großen Chance. Aus dem Gleich-
gewicht geratene Systeme können
wieder gesunden, sich wandeln und
reformieren. Wenn sich das Be-
wusstsein der Menschen verändert,
kommt das auch im Wohnbau zum
Ausdruck.
Der Wandel in der Wohnraum-
gestaltung spiegelt sich in der
zunehmenden Verbindung zu
Natur und Umwelt wider. Das
Abschotten und Abkapseln in
den eigenen vier Wänden liegt
hinter uns: Wohnen wird wieder
offener. Offen für die Natur und
die Gemeinschaft. Menschliche
Kontakte werden vermehrt
gesucht, auch das früher so
beliebte „Bänkle“ vor dem Haus
wird in einem beruhigteren
Dorfkern wieder aktuell. Diese Entwicklung
wird einen wesentlichen Ausdruck in der
Wohnqualität finden. Die großen Fenster sind
dafür ein Beispiel: Das Eigenheim öffnet sich für
den Blick nach außenund gleichzeitig wird es
einsichtig. Damit geht zwingend auch das
schrittweise Ablegen von Ängsten einher – das
Sicherheitsgefühl, das uns das abgeschottete
Wohnen bietet, tritt in den Hintergrund für
einen neuen Wohn-Wohlfühlstandard.
Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten
wird die Reife einer Kultur auch dadurch
sichtbar, wie die Gesellschaft mit schwächeren
Gruppen umgeht. Beispiele sind Altenwohn-
heime, integrierte Kindergärten oder Sozial-
wohnungen, die ein würdiges Wohnen bieten
und das Miteinander fördern.
Leistbares Wohnen
Jeder darf auch einmal schwach sein, weil er
wieder stark sein wird. Unter diesem Motto
galt es, ein Haus zu planen, das den Bedürf-
nissen von Menschen gerecht wird, die mit
dem Druck und Stress der heutigen Zeit nicht
umgehen können. Sie brauchen wieder Stabili-
tät – kostengünstige, bedarfsgerechte Wohnun-
gen, die menschenwürdig sind. Folge: Ein
Energiesparhaus wurde errichtet, das mit dem
Alternativen Wohnbaupreis „4 Wände & mehr“
prämiert wurde.
In Vorarlberg ist eine beispielhafte Entwick-
lung in Gang. Die energieeffizienten e5-
Gemeinden, die Kulturentwicklung und Inte-
gration sind Beispiele für eine hohe Bewusst-
seinsreife. In Vorarlberg passiert sehr viel,
dadurch haben wir als kleines Land bereits
große Bekanntheit erlangt. Ein gutes Beispiel
ist auch die VOGEWOSI – hier entstehen
architektonische und energetische Top-Häuser
für sozial Schwächere. Das ist ein einmaliger
Dienst für Gemeinschaft, Sozialsystem und
Architektur eines Landes. Das gehobene, hoch-
wertige Bauniveau von Vorarlberg wird beste-
hen bleiben und immer weiter in die ökologi-
sche Richtung drängen – trotz mehrfach publi-
zierter Krise.
Mehr saubere Energie
Energie wird über kurz oder lang im Überfluss
bestehen. Denn im Solar- und Windbereich
kommen große technische Fortschritte auf uns
zu, die eine Steigerung des Wirkungsgrades
von insgesamt 50 Prozent in den nächsten ein
bis zwei Jahren mit sich bringen. Gebäude-
hüllen werden sich darauf konzentrieren, dass
sie das Klima ausgleichen und atmungsaktiv
sind. Sie werden auf einem gesunden Mix
basieren: der energetische Aspekt wird bis zu
einem gewissen Maß sicherlich seine Wichtig-
keit beibehalten, allerdings ist dies nicht das
alleinige Kriterium. Entspannung, Wohlbe-
finden und Naturverbundenheit werden ver-
mehrt in das Wohnen einfließen.
Aus den neuen Bedürfnissen der Menschen
entwickelt sich ein innovativer, flexibler
Wohnbau, der zu unseren zukünftigen Anfor-
derungen passt. Im Wohnbau gilt es beweglich
und fortschrittlich zu sein, Visionäre sind
gefragt. Die Ansprüche an das Wohnen und im
Wohlfühlbereich verändern sich. Ob Fenster,
Türen, Heizsysteme oder die gesamte Architek-
tur eines Hauses – alles unterliegt der Weiter-
entwicklung. Alles ist in Bewegung – hin zu
einem sozial angepassten, energetischen,
modernen Wohnbau mit Anbindung zur
Umwelt.
Christian Walch, Geschäftsführer der Firma
Ökohaus Walch GmbH in Ludesch
E-Mail: office@walchoekohaus.at
www.oekohaus.at
Christian Walch
Wohnbau spiegelt
das Bewusstsein
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Krise stärkt Gemeinschaft – offenes Wohnen schafft Verbindung
WOHNEN
Foto:
Ludwig
Berchtold
Foto:
MOMA/Vorarlberg
Tourismus
Kostengünstiger und bedarfsgerechter Wohnungsbau. Zu spüren, was ist: das Wasser genießen.
In Krisenzeiten rücken die Menschen zusammen – die „Bänkle“ sind wieder gefragt.
Stefan Allgäuer
SOZIALES
Von Krisen und Chancen
Foto:
Dietmar
Mathis/Ökohaus
Walch
Foto:
Ökohaus
Walch
Foto:
IfS
,,Das Abschotten und
Abkapseln in den
eigenen vier Wänden
liegt hinter uns“