Skip to main content

Full text: Vorum 1997 - 2015 (1997 - 2015)

Wir spüren sie, die „Krise“, allenthalben. Manche 
sind direkt betroffen, am Arbeitsplatz, bei Finanzie- 
rungen, bei der erschwerten Suche nach Arbeit 
usw. Wir alle sind – darüber hinaus – Betroffene 
der beinahe stündlichen „Bekriselung“, in der wir 
unzählige Krisensymptome aus der ganzen Welt 
laufend serviert bekommen und irgendwie begierig 
aufsaugen. Fast so, als ob wir immer mehr Gründe 
dafür suchen und brauchen, um berechtigt „Angst“ 
haben zu dürfen. Unsicherheit und Angst ist das, 
was uns derzeit vereint. 
Wenn wir konstatieren, dass es globale, krisen- 
hafte Entwicklungen gibt (Krise, das bedeutet 
eine Situation, in der es so wie bisher nicht 
mehr weiter geht, und für deren Bewältigung 
die bisherigen Mechanismen nicht greifen), 
dann können wir uns die – höchst spannende – 
Frage stellen, was wir in unserem Land als 
(kleine) Region in dieser Situation tun können. 
Können wir überhaupt etwas tun? So viel 
Geld, um der weltweiten Krise eine Wende zu 
geben, hat das durchaus solid aufgestellte 
Vorarlberg nun wirklich nicht. Müssen wir 
also warten, bis und wie sich der weltweite 
Trend entwickelt – hängen wir mit drin, so 
oder so? 
Ich möchte im Folgenden, auf dem Hinter- 
grund der Erfahrungen, die wir im psychoso- 
zialen Bereich mit dem Umgang von Krisen 
haben, ein paar Optionen für uns im „Ländle“ 
andenken.   
Zusammenrücken 
In Krisen rücken Menschen zusammen. Sie 
treffen sich öfters, sorgen sich mehr um sich, 
sie nehmen sich wahr und helfen einander. 
Auf Vorarlberg umgesetzt könnte das – z.B. 
für die nächsten zwei Jahre – heißen: ange- 
sichts der Krise werden keine Mitarbeiter ent- 
lassen, alle Jugendlichen bekommen einen 
Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, bei Kredit- 
und Rückzahlungsschwierigkeiten finden die 
Banken unbürokratisch Lösungen, öffentliche 
Hilfen (wie Arbeitslosengeld und Notstands- 
hilfe, Sozialhilfe, Wohnbeihilfe usw.) werden 
innerhalb einer Woche erledigt, es gibt einen 
Fonds für flexible und kurzfristige Über- 
brückungshilfen, wir haben ein besonderes 
Augenmerk auf die Schwachen und Benach- 
teiligten usw. 
In der Krise definiert sich das „Wir“ neu. 
Vielleicht als Chance für eine neue – regionale – 
Identität. 
Im Hier und Jetzt bleiben 
Krisen beinhalten das Risiko, dass wir „wie in 
Trance“ leben – entweder wie Zuschauer mit 
der Hoffnung, nicht involviert zu werden oder 
als Involvierte mit dem Gefühl, (fern-)gesteuert 
zu sein. Aus der Psychotherapie wissen wir: 
Relevant ist, was jetzt, unmittelbar ist. Ein 
gutes Gespräch jetzt ist wichtiger als die 
Ungewissheit, was morgen ist. Eine friedliche, 
sichere, bunte Heimat heute ist besser als die 
Unsicherheit der Zukunft. Als Gegenpol zu 
Diffusität und Unsicherheit tut es gut, zum 
Fenster hinaus zu schauen, in die Natur hinaus 
zu gehen, zu spüren, dass „das Ländle“ trägt, 
die Vielfältigkeit unserer Region wahrzuneh- 
men und „einzuatmen“. Zu spüren, was ist – 
das ist eine gute Alternative zur Bedrohung 
von außen. 
Krisenfest(er) sind Menschen bzw. Regionen, 
die realistisch sind und gut am Boden stehend 
Wahlmöglichkeiten haben. Vorarlberg hat 
diese, wirtschaftlich und gesellschaftlich.   
Feuer und Asche unterscheiden 
Krisen fordern uns heraus, Altes und Überhol- 
tes („die Asche“) vom Lebendigen, dem Aktiven 
und Brennenden (dem „Feuer“) zu unterscheiden, 
wie der Volksmund meint. Wenn wir schon 
nicht wissen, was morgen auf uns zukommt, 
dann könnten wir ja unser Heute aufräumen, 
durchlüften, neue Türen aufmachen und etwas 
von dem tun, was wir immer schon tun sollten 
oder wollten. Manchmal braucht ein Feuer 
nicht mehr Holz, sondern einen frischen Wind. 
Lassen wir ihn zumindest zu. 
Kritischen Diskurs fördern 
In einer Situation, wo wir alle Betroffene sind 
und es (weltweit) keine Therapeuten gibt, soll- 
ten wir – statt zu verstummen – beginnen, zu 
diskutieren. Alle Meinungen sind gefragt, jede 
Sichtweise ist ein Teil des Ganzen, das wir zu 
verstehen suchen, Unterschiede sind erwünscht. 
Die Verschiedenheit unserer Landschaften, 
unserer Dörfer und Talschaften, 
unserer Kulturen und Sprachen 
usw. – all das sind jetzt Chan- 
cen. Öffnen wir die Türen in 
unseren Häusern, Stamm- 
tischen, Plätzen, Rathäusern 
und Kirchen zum offenen 
Diskurs.   
Schon 1985 beschrieb Hoimar 
von Ditfurth in seinem Buch 
„So lasst uns denn ein Apfel- 
bäumchen pflanzen“ den über 
kurz oder lang nahezu unaus- 
weichlichen Untergang der 
Zivilisation und der Biosphäre 
aufgrund von Massenvernich- 
tungswaffen und Umweltzer- 
störung. Inzwischen sind viele 
Gewässer wieder sauber, alter- 
native Energien sind „in“, eine 
atomwaffenfreie Welt gilt als 
Vision. Vielleicht sollten wir – 
gerade heute – in unserem Land 
Apfelbäume pflanzen, Kinder 
bevorzugen, überall im Land 
„Bänkle“ aufstellen, kritische 
Lernräume eröffnen, miteinan- 
der singen, älteren Menschen 
zuhören, Schule neu denken, 
die Nachbarn einladen, Türkisch 
lernen, unser Wasser genießen. 
Und vieles mehr. 
Die Krise ist überall, die Chance ist hier. 
Stefan Allgäuer, Geschäftsführer des Instituts 
für Sozialdienste (IfS) in Röthis 
E-Mail: allgaeuer.stefan@ifs.at 
www.ifs.at 
,,In der Krise definiert 
sich das Wir neu. 
Vielleicht als Chance 
für eine neue – 
regionale – Identität“ 
In der Architektur sind Lebensum- 
stände ablesbar. Ob ein armes Berg- 
volk, ein Herrschaftshaus, ein erfol- 
greiches, modernes Unternehmen – 
man sieht anhand des Bauens und 
Wohnens das Bewusstsein der 
Menschen für Schönheit und Kultur, 
deren Umgang mit sozial schwäche- 
ren Mitmenschen und die daraus 
resultierenden Lebensumstände. Die 
Wirtschaftskrise verändert dieses 
Bewusstsein – das macht sie zur 
großen Chance. Aus dem Gleich- 
gewicht geratene Systeme können 
wieder gesunden, sich wandeln und 
reformieren. Wenn sich das Be- 
wusstsein der Menschen verändert, 
kommt das auch im Wohnbau zum 
Ausdruck. 
Der Wandel in der Wohnraum- 
gestaltung spiegelt sich in der 
zunehmenden Verbindung zu 
Natur und Umwelt wider. Das 
Abschotten und Abkapseln in 
den eigenen vier Wänden liegt 
hinter uns: Wohnen wird wieder 
offener. Offen für die Natur und 
die Gemeinschaft. Menschliche 
Kontakte werden vermehrt 
gesucht, auch das früher so 
beliebte „Bänkle“ vor dem Haus 
wird in einem beruhigteren 
Dorfkern wieder aktuell. Diese Entwicklung 
wird einen wesentlichen Ausdruck in der 
Wohnqualität finden. Die großen Fenster sind 
dafür ein Beispiel: Das Eigenheim öffnet sich für 
den Blick nach außenund gleichzeitig wird es 
einsichtig. Damit geht zwingend auch das 
schrittweise Ablegen von Ängsten einher – das 
Sicherheitsgefühl, das uns das abgeschottete 
Wohnen bietet, tritt in den Hintergrund für 
einen neuen Wohn-Wohlfühlstandard. 
Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten 
wird die Reife einer Kultur auch dadurch 
sichtbar, wie die Gesellschaft mit schwächeren 
Gruppen umgeht. Beispiele sind Altenwohn- 
heime, integrierte Kindergärten oder Sozial- 
wohnungen, die ein würdiges Wohnen bieten 
und das Miteinander fördern. 
Leistbares Wohnen 
Jeder darf auch einmal schwach sein, weil er 
wieder stark sein wird. Unter diesem Motto 
galt es, ein Haus zu planen, das den Bedürf- 
nissen von Menschen gerecht wird, die mit 
dem Druck und Stress der heutigen Zeit nicht 
umgehen können. Sie brauchen wieder Stabili- 
tät – kostengünstige, bedarfsgerechte Wohnun- 
gen, die menschenwürdig sind. Folge: Ein 
Energiesparhaus wurde errichtet, das mit dem 
Alternativen Wohnbaupreis „4 Wände & mehr“ 
prämiert wurde. 
In Vorarlberg ist eine beispielhafte Entwick- 
lung in Gang. Die energieeffizienten e5- 
Gemeinden, die Kulturentwicklung und Inte- 
gration sind Beispiele für eine hohe Bewusst- 
seinsreife. In Vorarlberg passiert sehr viel, 
dadurch haben wir als kleines Land bereits 
große Bekanntheit erlangt. Ein gutes Beispiel 
ist auch die VOGEWOSI – hier entstehen 
architektonische und energetische Top-Häuser 
für sozial Schwächere. Das ist ein einmaliger 
Dienst für Gemeinschaft, Sozialsystem und 
Architektur eines Landes. Das gehobene, hoch- 
wertige Bauniveau von Vorarlberg wird beste- 
hen bleiben und immer weiter in die ökologi- 
sche Richtung drängen – trotz mehrfach publi- 
zierter Krise. 
Mehr saubere Energie 
Energie wird über kurz oder lang im Überfluss 
bestehen. Denn im Solar- und Windbereich 
kommen große technische Fortschritte auf uns 
zu, die eine Steigerung des Wirkungsgrades 
von insgesamt 50 Prozent in den nächsten ein 
bis zwei Jahren mit sich bringen. Gebäude- 
hüllen werden sich darauf konzentrieren, dass 
sie das Klima ausgleichen und atmungsaktiv 
sind. Sie werden auf einem gesunden Mix 
basieren: der energetische Aspekt wird bis zu 
einem gewissen Maß sicherlich seine Wichtig- 
keit beibehalten, allerdings ist dies nicht das 
alleinige Kriterium. Entspannung, Wohlbe- 
finden und Naturverbundenheit werden ver- 
mehrt in das Wohnen einfließen. 
Aus den neuen Bedürfnissen der Menschen 
entwickelt sich ein innovativer, flexibler 
Wohnbau, der zu unseren zukünftigen Anfor- 
derungen passt. Im Wohnbau gilt es beweglich 
und fortschrittlich zu sein, Visionäre sind 
gefragt. Die Ansprüche an das Wohnen und im 
Wohlfühlbereich verändern sich. Ob Fenster, 
Türen, Heizsysteme oder die gesamte Architek- 
tur eines Hauses – alles unterliegt der Weiter- 
entwicklung. Alles ist in Bewegung – hin zu 
einem sozial angepassten, energetischen, 
modernen Wohnbau mit Anbindung zur 
Umwelt. 
Christian Walch, Geschäftsführer der Firma 
Ökohaus Walch GmbH in Ludesch 
E-Mail: office@walchoekohaus.at 
www.oekohaus.at 
Christian Walch 
Wohnbau spiegelt 
das Bewusstsein 
2 3 
Krise stärkt Gemeinschaft – offenes Wohnen schafft Verbindung 
WOHNEN 
Foto: 
Ludwig 
Berchtold 
Foto: 
MOMA/Vorarlberg 
Tourismus 
Kostengünstiger und bedarfsgerechter Wohnungsbau. Zu spüren, was ist: das Wasser genießen. 
In Krisenzeiten rücken die Menschen zusammen – die „Bänkle“ sind wieder gefragt. 
Stefan Allgäuer 
SOZIALES 
Von Krisen und Chancen 
Foto: 
Dietmar 
Mathis/Ökohaus 
Walch 
Foto: 
Ökohaus 
Walch 
Foto: 
IfS 
,,Das Abschotten und 
Abkapseln in den 
eigenen vier Wänden 
liegt hinter uns“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.