Skip to main content

Full text: Vorum 1997 - 2015 (1997 - 2015)

Seit die Russen ihren Nachbarn den Gashahn zuge- 
dreht haben, an dem auch wir hängen, besteht ein 
ungutes Gefühl. Könnte das nicht auch bei den 
Lebensmitteln passieren? 
Faktum ist, in Vorarlberg wird nur in den 
Sparten Milch, Käse und Kalbfleisch soviel 
erzeugt, wie der Konsument braucht. Die 
Vorarlberger Eier reichen nur ein halbes Jahr. 
Frischgemüse und Tafelobst sind in zwei 
Monaten verzehrt. Schweinefleisch reicht nur 
einen Monat, und Hühnerfleisch wird prak- 
tisch keines erzeugt. In den landwirtschaftli- 
chen Sparten mit dem höchsten Industrialisie- 
rungsgrad können unsere Familienbetriebe hin- 
sichtlich Betriebsgröße und in der Folge beim 
Preis nicht mehr mithalten. Nur Nischenpro- 
dukte und Spezialsortimente sind konkurrenz- 
fähig. 
Fairer statt freier Markt 
Wir werden das Rad der Geschichte nicht 
zurückdrehen. Massenproduktion und freier 
Welthandel werden nicht abgeschafft. Aber ein 
Umdenken könnte sich anbahnen. Unsere 
Vorstellung wäre, anstelle des möglichst libera- 
len Handels, wie ihn die Welthandelsorgani- 
sation WTO fordert, den Welthandel fairer zu 
gestalten. Ein Silberstreif zeigt sich am Hori- 
zont. Der neue amerikanische Präsident Obama 
hat der WTO ausrichten lassen, der Weltmarkt 
sei nicht allein eine Frage des Preises. Es müs- 
sten auch die Sozial- und Umweltstandards 
angepasst werden. Das ist ein positives Signal. 
Wohlstand ist anders 
Klimaschutz und die regionale Wirtschaft 
werden durch die Wirtschaftskrise in ein neues 
Licht gerückt. Wohlstandsgewinn kann nicht 
nur heißen, möglichst billige Produkte aus aller 
Welt in jeden Winkel der Erde zu bringen. 
Wenn damit die Umwelt versaut und die regio- 
nale Wirtschaft aus dem Boot gekippt wird, 
kann das nicht Wohlstand sein. Es braucht 
eine Ausgewogenheit zwischen 
freiem Handel und den 
Interessen der regionalen 
Wirtschaft und dem Klima- 
schutz. 
Neue Denkmuster 
Die Krise stimmt nachdenklich 
– nicht nur in Sachen Arbeits- 
plätze. Auch die Lebensmittel- 
versorgung rückt ins Blickfeld. 
Die Krise könnte den Anstoß 
geben, im Großen das Welt- 
handelssystem zu überdenken 
und im Kleinen das Einkaufs- 
verhalten zu ändern. 
Sie könnte sogar bis in die 
Raumplanung wirken: Grund 
und Boden ist nicht nur  ver- 
wertbarer Baugrund. Er ist in 
erster Linie die Grundlage für 
Lebensmittel aus der Nähe, eine 
Lebensmittelversicherung für die 
Zukunft. 
Krisenfester und unabhängiger 
Für Vorarlberg ist die beste Versicherung für 
die Lebensmittelversorgung in Krisenzeiten 
eine gesunde, produzierende Landwirtschaft in 
guten Zeiten. Das heißt, die fruchtbarsten 
Böden für die Lebensmittelerzeugung sichern, 
die Nahrungsmittelproduktion durch Nach- 
frage und wirtschaftliche Produktpreise attrak- 
tiv halten und die Arbeit der Landschaftspflege 
über öffentliche Programme fair entlohnen. 
Floriert die Landwirtschaft in guten Zeiten, 
hat man sie auch in Krisenzeiten, wenn man 
sie besonders braucht. 
Josef Moosbrugger, Präsident der Vorarlberger 
Landwirtschaftskammer 
www.diekammer.info 
Dinkel“. Aber woher kommt der? Von woan- 
ders her. Beim „Vorarlberger Riebel“ ist es 
dasselbe. Er ist nicht von da. Wenn nur das 
Mahlen und der Vertrieb von da ist, wird das 
schon als Vorarlberger Produkt gekennzeich- 
net. Nehmen wir die Hotellerie: Rindfleisch 
kommt oft von Argentinien, was nicht heißt, 
dass das Fleisch schlecht ist. Daran verdient 
aber nur der Handel, nicht der Bauer. Ein 
Container mit 25 Tonnen kostet vielleicht 
5000 Euro an Transportkosten, also macht das 
Kilo 20 Cent aus. 
vorum: Müssen wir damit leben, bei den 
Lebensmitteln abhängig zu sein? 
Hubert Vetter: Ja, wir sind bei den Lebensmit- 
teln abhängig. Wenn die Häfen in Rotterdam, 
Bremen und Hamburg zu sind, bricht in 
Europa die Hungersnot aus. Spanisches 
Gemüse etwa rollt tausende Kilometer weit, 
bis es da ist. Bei einem Großteil davon klebt 
Blut. Denn der Arbeiter muss um 22 Euro 
brutto am Tag bis zu 14 Stunden arbeiten. 
Welcher Arbeiter hier muss um eineinhalb 
Euro pro Stunde schuften? Das ist moderner 
Sklavenhandel. Wir waren mit einer Delega- 
tion in Andalusien. Dort herrschen unmensch- 
liche Arbeitsbedingungen. Nur damit wir in 
Mitteleuropa billiges Gemüse haben. Das kann 
es nicht sein. Und das in der EU. 
Wo ist da die Gewerkschaft? Wichtig ist mir 
auch, dass Leute, die sich mit Produkten von 
hier ernähren, viel billiger durchkommen als 
solche, die Schrott von irgendwoher kaufen. 
Wegen der Gesundheit, da ist vieles von außen 
ungesund, etwa Gemüse, das uns kühlt, aber 
hier im Winter gegessen wird. Wir brauchen 
Der Lustenauer Biobauer und 
„Vetterhof“-Betreiber Hubert 
Vetter im vorum-Interview über die 
Import-Abhängigkeit Vorarlbergs 
bei Lebensmitteln und regionale 
Alternativen dazu: 
vorum: Sind die Auswirkungen 
der Finanz- und Wirtschaftskrise 
auch auf Ihrem Biohof zu ver- 
spüren? 
Hubert Vetter: Ja und nein. Ja, 
weil viele Leute verunsichert 
sind. Nein, weil viele in den 
letzten Monaten als Kunden 
zurückgekommen sind zur hei- 
mischen Landwirtschaft, sie 
wollen nichts mehr vom Aus- 
land. Da sind die Leute viel 
sensibler geworden. Unser 
Klientel besteht zu 60 bis 70 
Prozent aus bodenständigen 
Familien. Viele sagen, sie müs- 
sen sparen. Andererseits haben 
wir ein renommiertes Hotel aus 
dem Rheintal als Kunden – die 
sagen, wir seien den Preis wert. 
Man muss wissen, dass in 
Vorarlberg im Gemüsebereich 
90 Prozent Importware ist. 
Wenn man sich ansieht, woher 
die Waren kommen, dann kann 
man sich eine Weltkarte zeichnen, bei Gemüse 
eine Europakarte mit Spanien, Italien, 
Frankreich, Holland und der Türkei. 
vorum: Ließe sich beim Gemüse diese extrem 
hohe Importabhängigkeit verringern? 
Hubert Vetter: Ja, sicher, indem man weniger 
Milch produziert. Und indem verschiedene 
öffentliche Stellen bereit werden für ein Um- 
denken: man muss einfach mehr tun. Es gibt ja 
Bemühungen, auch von der Landwirtschafts- 
kammer. Aber wir haben schon auch nur 
begrenzte Möglichkeiten, im Rheintal und 
Walgau und im Leiblachtal. Aber auch im 
Rheintal ist es oft nicht möglich, Gemüse 
anzubauen, auch wegen schlechten Böden und 
der Zerstückelung. Wir sollten zurückdenken, 
zum Beispiel ins Jahr 1940: Damals hat man 
Lebensmittel selbst machen müssen, weil man 
es von nirgends beziehen konnte. Heute küm- 
mert man sich nicht darum, woher die Ware 
kommt. Das kann aber noch teuer werden: 
über Kosten für Transporte oder, wenn es 
Knappheit geben sollte. Viele sind nicht bereit, 
den Biobauern kostendeckende Preise zu bezah- 
len. Da wird gesagt: du bist viel zu teuer. 
Einerseits wird die heimische Landwirtschaft 
angepriesen, andererseits bezieht man Hühner 
aus Chile. 
vorum: Wie groß ist die Abhängigkeit 
Vorarlbergs von Importen bei der 
Lebensmittelversorgung? 
Hubert Vetter: Wir sind extrem abhängig. Beim 
Rindfleisch erzeugen wir nur 20 Prozent selbst. 
Wie viel Getreideanbau haben wir hier? Nicht 
ein Prozent. Man schreibt zwar „Vorarlberger 
ein Essen, das uns wärmt: Kraut, Rüben, 
Sauerkraut. Und Salat aus Spanien ist ja tage- 
lang unterwegs, trotzdem redet man noch von 
frischer Ware. 
vorum: Was tun, mehr biologische 
Lebensmittel vom Vetterhof kaufen? 
Hubert Vetter: Nein, hier mehr Standorte schaf- 
fen und regionale Produkte kaufen. Junge Bauern 
brauchen eine Perspektive. Es kann nicht sein, 
Milch auf Halde zu produzieren, so fiel auch 
der Milchpreis in den Keller. 
vorum: Erlauben die Umstände in Vorarlberg 
mehr Eigenproduktion? 
Hubert Vetter: Das gute Kulturland wurde im 
Rheintal schon verbaut. Wir können nicht von 
50-jährigen Bauern erwarten, dass sie nun Ge- 
müse anbauen und für die Nahversorgung da 
sind. Aber man kann auch nicht über den 
schlechten Milchpreis jammern und nichts 
anderes anbieten wollen. Unsere Vision muss 
sein: Wir müssen jungen Bauern alternative 
Absatzchancen bieten. Bei uns im Land zählt 
aber nur, wer Kühe und Traktoren mit 100 PS hat. 
vorum: Wir brauchen also auch in diesem 
Bereich einen Bewusstseinswandel? 
Hubert Vetter: Ja, wir brauchen organisierte 
Abnehmer für alternative Bauern. Dafür 
braucht es Rahmenbedingungen. Aber die 
besten Plätze dafür wurden verbaut, etwa für 
einen Golfplatz in Rankweil. Und die Schöpfungs- 
verantwortung ist eine andere als jene, die 
Klöster mit großen landwirtschaftlichen 
Flächen übernehmen. Früher haben Klöster 
Gemüse und Getreide gemacht. Wir brauchen 
Visionen. Bei Revolutionen gibt es nur Krieg, 
das geht also nur über langwierige evolutio- 
näre Prozesse. Und es nützt nichts, Unmengen 
mit Hilfe von Kunstdünger und Pflanzen- 
schutzmitteln herzustellen. Aber Bauern wer- 
den dazu gezwungen. Bei diesen Marktpreisen 
kann man auf Qualität keinen Wert legen. So 
entstehen keine Lebensmittel, sondern Nahrungs- 
mittel, rein zum Überleben. Das passiert, wenn 
man sieht, wie man mit den Bauern im Handel 
umgeht: Wenn du nicht um diesen Preis lie- 
ferst, liefern Tschechen. Vollgasbetriebe haben 
aber nicht mehr vom Ertrag als Biobetriebe, 
denn sie müssen mehr für den Tierarzt ausge- 
ben und für die Futtermühle, wenn Tiere früh- 
zeitig kaputtgehen. Wir sollten Flächen frei- 
spielen für Gemüse- und Getreideanbau. Aber 
dafür braucht es Zeit, viel Zeit. 
Hubert Vetter, Biobauer am Lustenauer 
Vetterhof und Biobauern-Funktionär 
www.vetterhof.com 
7 
„Wir sind extrem abhängig“ 
6 
Hubert Vetter 
LANDWIRTSCHAFT 
I 
Vorarlberg nährt sich an der Welt 
Josef Moosbrugger 
LANDWIRTSCHAFT 
II 
Krisenfeste 
Lebensmittel 
aus heimischer 
Landwirtschaft 
„Die Krise könnte den 
Anstoß geben, im Großen 
das Welthandelssystem zu 
überdenken und im Kleinen 
das Einkaufsverhalten zu 
ändern“ 
Foto: 
Bio Austria 
Fotos: 
Heiko 
Moosbrugger 
Werden wir eines Tages froh um die zersiedelten Einfamlienhäuser sein, da ihre Gärten auch für die Selbstversorgung genutzt werden können? 
Durch bewussten Einkauf die heimische Landwirtschaft stärken. Gemüseanbau im Rheintal. 
Foto: Landwirtschaftskammer
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.