Seit die Russen ihren Nachbarn den Gashahn zuge-
dreht haben, an dem auch wir hängen, besteht ein
ungutes Gefühl. Könnte das nicht auch bei den
Lebensmitteln passieren?
Faktum ist, in Vorarlberg wird nur in den
Sparten Milch, Käse und Kalbfleisch soviel
erzeugt, wie der Konsument braucht. Die
Vorarlberger Eier reichen nur ein halbes Jahr.
Frischgemüse und Tafelobst sind in zwei
Monaten verzehrt. Schweinefleisch reicht nur
einen Monat, und Hühnerfleisch wird prak-
tisch keines erzeugt. In den landwirtschaftli-
chen Sparten mit dem höchsten Industrialisie-
rungsgrad können unsere Familienbetriebe hin-
sichtlich Betriebsgröße und in der Folge beim
Preis nicht mehr mithalten. Nur Nischenpro-
dukte und Spezialsortimente sind konkurrenz-
fähig.
Fairer statt freier Markt
Wir werden das Rad der Geschichte nicht
zurückdrehen. Massenproduktion und freier
Welthandel werden nicht abgeschafft. Aber ein
Umdenken könnte sich anbahnen. Unsere
Vorstellung wäre, anstelle des möglichst libera-
len Handels, wie ihn die Welthandelsorgani-
sation WTO fordert, den Welthandel fairer zu
gestalten. Ein Silberstreif zeigt sich am Hori-
zont. Der neue amerikanische Präsident Obama
hat der WTO ausrichten lassen, der Weltmarkt
sei nicht allein eine Frage des Preises. Es müs-
sten auch die Sozial- und Umweltstandards
angepasst werden. Das ist ein positives Signal.
Wohlstand ist anders
Klimaschutz und die regionale Wirtschaft
werden durch die Wirtschaftskrise in ein neues
Licht gerückt. Wohlstandsgewinn kann nicht
nur heißen, möglichst billige Produkte aus aller
Welt in jeden Winkel der Erde zu bringen.
Wenn damit die Umwelt versaut und die regio-
nale Wirtschaft aus dem Boot gekippt wird,
kann das nicht Wohlstand sein. Es braucht
eine Ausgewogenheit zwischen
freiem Handel und den
Interessen der regionalen
Wirtschaft und dem Klima-
schutz.
Neue Denkmuster
Die Krise stimmt nachdenklich
– nicht nur in Sachen Arbeits-
plätze. Auch die Lebensmittel-
versorgung rückt ins Blickfeld.
Die Krise könnte den Anstoß
geben, im Großen das Welt-
handelssystem zu überdenken
und im Kleinen das Einkaufs-
verhalten zu ändern.
Sie könnte sogar bis in die
Raumplanung wirken: Grund
und Boden ist nicht nur ver-
wertbarer Baugrund. Er ist in
erster Linie die Grundlage für
Lebensmittel aus der Nähe, eine
Lebensmittelversicherung für die
Zukunft.
Krisenfester und unabhängiger
Für Vorarlberg ist die beste Versicherung für
die Lebensmittelversorgung in Krisenzeiten
eine gesunde, produzierende Landwirtschaft in
guten Zeiten. Das heißt, die fruchtbarsten
Böden für die Lebensmittelerzeugung sichern,
die Nahrungsmittelproduktion durch Nach-
frage und wirtschaftliche Produktpreise attrak-
tiv halten und die Arbeit der Landschaftspflege
über öffentliche Programme fair entlohnen.
Floriert die Landwirtschaft in guten Zeiten,
hat man sie auch in Krisenzeiten, wenn man
sie besonders braucht.
Josef Moosbrugger, Präsident der Vorarlberger
Landwirtschaftskammer
www.diekammer.info
Dinkel“. Aber woher kommt der? Von woan-
ders her. Beim „Vorarlberger Riebel“ ist es
dasselbe. Er ist nicht von da. Wenn nur das
Mahlen und der Vertrieb von da ist, wird das
schon als Vorarlberger Produkt gekennzeich-
net. Nehmen wir die Hotellerie: Rindfleisch
kommt oft von Argentinien, was nicht heißt,
dass das Fleisch schlecht ist. Daran verdient
aber nur der Handel, nicht der Bauer. Ein
Container mit 25 Tonnen kostet vielleicht
5000 Euro an Transportkosten, also macht das
Kilo 20 Cent aus.
vorum: Müssen wir damit leben, bei den
Lebensmitteln abhängig zu sein?
Hubert Vetter: Ja, wir sind bei den Lebensmit-
teln abhängig. Wenn die Häfen in Rotterdam,
Bremen und Hamburg zu sind, bricht in
Europa die Hungersnot aus. Spanisches
Gemüse etwa rollt tausende Kilometer weit,
bis es da ist. Bei einem Großteil davon klebt
Blut. Denn der Arbeiter muss um 22 Euro
brutto am Tag bis zu 14 Stunden arbeiten.
Welcher Arbeiter hier muss um eineinhalb
Euro pro Stunde schuften? Das ist moderner
Sklavenhandel. Wir waren mit einer Delega-
tion in Andalusien. Dort herrschen unmensch-
liche Arbeitsbedingungen. Nur damit wir in
Mitteleuropa billiges Gemüse haben. Das kann
es nicht sein. Und das in der EU.
Wo ist da die Gewerkschaft? Wichtig ist mir
auch, dass Leute, die sich mit Produkten von
hier ernähren, viel billiger durchkommen als
solche, die Schrott von irgendwoher kaufen.
Wegen der Gesundheit, da ist vieles von außen
ungesund, etwa Gemüse, das uns kühlt, aber
hier im Winter gegessen wird. Wir brauchen
Der Lustenauer Biobauer und
„Vetterhof“-Betreiber Hubert
Vetter im vorum-Interview über die
Import-Abhängigkeit Vorarlbergs
bei Lebensmitteln und regionale
Alternativen dazu:
vorum: Sind die Auswirkungen
der Finanz- und Wirtschaftskrise
auch auf Ihrem Biohof zu ver-
spüren?
Hubert Vetter: Ja und nein. Ja,
weil viele Leute verunsichert
sind. Nein, weil viele in den
letzten Monaten als Kunden
zurückgekommen sind zur hei-
mischen Landwirtschaft, sie
wollen nichts mehr vom Aus-
land. Da sind die Leute viel
sensibler geworden. Unser
Klientel besteht zu 60 bis 70
Prozent aus bodenständigen
Familien. Viele sagen, sie müs-
sen sparen. Andererseits haben
wir ein renommiertes Hotel aus
dem Rheintal als Kunden – die
sagen, wir seien den Preis wert.
Man muss wissen, dass in
Vorarlberg im Gemüsebereich
90 Prozent Importware ist.
Wenn man sich ansieht, woher
die Waren kommen, dann kann
man sich eine Weltkarte zeichnen, bei Gemüse
eine Europakarte mit Spanien, Italien,
Frankreich, Holland und der Türkei.
vorum: Ließe sich beim Gemüse diese extrem
hohe Importabhängigkeit verringern?
Hubert Vetter: Ja, sicher, indem man weniger
Milch produziert. Und indem verschiedene
öffentliche Stellen bereit werden für ein Um-
denken: man muss einfach mehr tun. Es gibt ja
Bemühungen, auch von der Landwirtschafts-
kammer. Aber wir haben schon auch nur
begrenzte Möglichkeiten, im Rheintal und
Walgau und im Leiblachtal. Aber auch im
Rheintal ist es oft nicht möglich, Gemüse
anzubauen, auch wegen schlechten Böden und
der Zerstückelung. Wir sollten zurückdenken,
zum Beispiel ins Jahr 1940: Damals hat man
Lebensmittel selbst machen müssen, weil man
es von nirgends beziehen konnte. Heute küm-
mert man sich nicht darum, woher die Ware
kommt. Das kann aber noch teuer werden:
über Kosten für Transporte oder, wenn es
Knappheit geben sollte. Viele sind nicht bereit,
den Biobauern kostendeckende Preise zu bezah-
len. Da wird gesagt: du bist viel zu teuer.
Einerseits wird die heimische Landwirtschaft
angepriesen, andererseits bezieht man Hühner
aus Chile.
vorum: Wie groß ist die Abhängigkeit
Vorarlbergs von Importen bei der
Lebensmittelversorgung?
Hubert Vetter: Wir sind extrem abhängig. Beim
Rindfleisch erzeugen wir nur 20 Prozent selbst.
Wie viel Getreideanbau haben wir hier? Nicht
ein Prozent. Man schreibt zwar „Vorarlberger
ein Essen, das uns wärmt: Kraut, Rüben,
Sauerkraut. Und Salat aus Spanien ist ja tage-
lang unterwegs, trotzdem redet man noch von
frischer Ware.
vorum: Was tun, mehr biologische
Lebensmittel vom Vetterhof kaufen?
Hubert Vetter: Nein, hier mehr Standorte schaf-
fen und regionale Produkte kaufen. Junge Bauern
brauchen eine Perspektive. Es kann nicht sein,
Milch auf Halde zu produzieren, so fiel auch
der Milchpreis in den Keller.
vorum: Erlauben die Umstände in Vorarlberg
mehr Eigenproduktion?
Hubert Vetter: Das gute Kulturland wurde im
Rheintal schon verbaut. Wir können nicht von
50-jährigen Bauern erwarten, dass sie nun Ge-
müse anbauen und für die Nahversorgung da
sind. Aber man kann auch nicht über den
schlechten Milchpreis jammern und nichts
anderes anbieten wollen. Unsere Vision muss
sein: Wir müssen jungen Bauern alternative
Absatzchancen bieten. Bei uns im Land zählt
aber nur, wer Kühe und Traktoren mit 100 PS hat.
vorum: Wir brauchen also auch in diesem
Bereich einen Bewusstseinswandel?
Hubert Vetter: Ja, wir brauchen organisierte
Abnehmer für alternative Bauern. Dafür
braucht es Rahmenbedingungen. Aber die
besten Plätze dafür wurden verbaut, etwa für
einen Golfplatz in Rankweil. Und die Schöpfungs-
verantwortung ist eine andere als jene, die
Klöster mit großen landwirtschaftlichen
Flächen übernehmen. Früher haben Klöster
Gemüse und Getreide gemacht. Wir brauchen
Visionen. Bei Revolutionen gibt es nur Krieg,
das geht also nur über langwierige evolutio-
näre Prozesse. Und es nützt nichts, Unmengen
mit Hilfe von Kunstdünger und Pflanzen-
schutzmitteln herzustellen. Aber Bauern wer-
den dazu gezwungen. Bei diesen Marktpreisen
kann man auf Qualität keinen Wert legen. So
entstehen keine Lebensmittel, sondern Nahrungs-
mittel, rein zum Überleben. Das passiert, wenn
man sieht, wie man mit den Bauern im Handel
umgeht: Wenn du nicht um diesen Preis lie-
ferst, liefern Tschechen. Vollgasbetriebe haben
aber nicht mehr vom Ertrag als Biobetriebe,
denn sie müssen mehr für den Tierarzt ausge-
ben und für die Futtermühle, wenn Tiere früh-
zeitig kaputtgehen. Wir sollten Flächen frei-
spielen für Gemüse- und Getreideanbau. Aber
dafür braucht es Zeit, viel Zeit.
Hubert Vetter, Biobauer am Lustenauer
Vetterhof und Biobauern-Funktionär
www.vetterhof.com
7
„Wir sind extrem abhängig“
6
Hubert Vetter
LANDWIRTSCHAFT
I
Vorarlberg nährt sich an der Welt
Josef Moosbrugger
LANDWIRTSCHAFT
II
Krisenfeste
Lebensmittel
aus heimischer
Landwirtschaft
„Die Krise könnte den
Anstoß geben, im Großen
das Welthandelssystem zu
überdenken und im Kleinen
das Einkaufsverhalten zu
ändern“
Foto:
Bio Austria
Fotos:
Heiko
Moosbrugger
Werden wir eines Tages froh um die zersiedelten Einfamlienhäuser sein, da ihre Gärten auch für die Selbstversorgung genutzt werden können?
Durch bewussten Einkauf die heimische Landwirtschaft stärken. Gemüseanbau im Rheintal.
Foto: Landwirtschaftskammer