Die Menschheit steht vor gigantischen Heraus-
forderungen. Die größten langfristigen Risiken
betreffen in einer Welt von zukünftig zehn Milliarden
Menschen Probleme auf der Ressourcenseite
(Wasser, Nahrung, Energie, etc.) und die Folgen der
Klimakatastrophe. Hier sind entsprechende Verein-
barungen zwischen Nord und Süd erforderlich, um
globale Leitplanken fair und im Konsens zu etablie-
ren. Gelingt das nicht, drohen ein Kollaps oder
eine Refeudalisierung der Welt (Brasilianisierung).
Es ist dafür zu sorgen, dass alle ökonomischen
Akteure im Rahmen ihrer ökonomischen Leis-
tungsfähigkeit dazu beitragen, unserem Gemein-
wesen die dringend erforderliche Stabilität zu
erhalten bzw. zurückzugeben, z.B. durch Steuer-
zahlung. In der Tradition des Club of Rome
sind dabei die Ressourcenfragen die entschei-
denden. Sie bestimmen über die Zukunft der
Menschheit. Nur eine auf Balance zielende
Global Governance kann hier zielführend sein:
Ökosozial statt marktradikal.
Staat in Geiselhaft
Wie ist in diesem Kontext die aktuelle Welt-
finanzmarktkrise einzuordnen? Die Finanzkrise
zeigt zum einen deutlich, was das Resultat ist,
wenn „freie“ Märkte „Plünderung“ erlauben
und honorieren, und wenn es massive Inter-
essen gibt, die diese „Bonanza“ wollen – erin-
nert sei an die Ablehnung jeder zusätzlichen
Regulierung im Finanzsektor auf dem G8-
Gipfel in Heiligendamm in 2007 durch die
USA und Großbritannien. Die bisherigen
„Rettungsschirme“ für den Finanzmarkt sind
daher nur ein erster Schritt zur Stabilisierung
der Situation. „Wenn es brennt, muss man
löschen“. Der anschließende Umbau des
Systems bleibt aber die große Herausfor-
derung. Und öffentlich noch nicht adäquat dis-
kutiert ist das große Risiko und das Problem,
das darin besteht, dass sich als Folge einer
unzureichend geordneten Globalisierung wich-
tige Wertschöpfungssegmente einer adäquaten
Besteuerung entziehen. Dies führt einerseits zu
exorbitanten privaten Vermögensanhäufungen,
die mittlerweile von nur wenigen institutionel-
len Anlegern verwaltet werden, andererseits zu
einer immer weitergehenden weltweiten
Verschuldung der öffentlichen Hände. Dieses
Muster verschärft sich in der Krise. Um uns
vor noch größeren Schäden zu retten, muss
sich der Staat in der aktuellen Krise weiter ver-
schulden. Geiselhaft ist ein gutes Bild für die
Charakterisierung der Situation, in der wir uns
befinden. Dies kann langfristig nicht gut
gehen.
Global ordnen
Die anstehenden Probleme kann
die Staatengemeinschaft nur mit
einer vollständigen Neuordnung
der Finanzmärkte in den Griff
bekommen. Die Forderung
nach einem „Bretton Woods
II“, einer Konferenz mit dem
Ziel, einen „internationalen
Ordnungsrahmen für die Öko-
nomie zu schaffen“ oder des
Club of Rome mit seiner
Forderung „A New Path for
World Development“ oder des
Ökosozialen Forums Europa
und der Global Marshall Plan
Initiative mit ihrem Ruf nach
einer weltweiten Ökosozialen
Marktwirtschaft treffen den
Punkt und zeigen auf, was jetzt
politisch notwendig ist. Not-
wendig ist mittelfristig eine
Harmonisierung der Besteue-
rung, zunächst der Besteuerbe-
messungsgrundlagen, weltweit,
vor allem die Austrocknung der
Steuerparadiese und die faire
Einbeziehung aller Wert-
schöpfungsformen in diesen
Rahmen.
Die Verbesserung der Schulden-
situation der Staaten ist über-
fällig. In Demokratien wird die
Entschuldung nicht dadurch gelin-
gen, dass die Bürger auf Ausbild-
ung für ihre Kinder oder funk-
tionierende Infrastrukturen ver-
zichten, nur damit wenige, die
keine Steuern zahlen, immer
größere Vermögen anhäufen. Als Alternative
müssen die großen Gewinner ökonomischer
Prozesse regulativ dafür gewonnen werden,
deutlich mehr als bisher für den Erhalt des
Systems und seiner Stabilität zu tun und zu
einer adäquaten Finanzierung beizutragen.
Der Ausblick
Die Lage ist schwierig, eine bessere Regulie-
rung die Schlüsselfrage. Dass mit den Themen
Bretton Woods II, der „Einhegung“ der Steuer-
paradiese und Kyoto II jetzt die Hälfte der
Global-Governance-Fragen verhandelt wird,
und zwar die unter Eigentumsaspekten wichti-
gere Hälfte, eröffnet ein Potential. Dass die
Thematik zunächst in Washington und im
April in Großbritannien auf G20-Ebene und
nicht auf G8-Ebene adressiert wurde, ist der
Problemlage angemessen. Das stärkt die Hoff-
nung, dass endlich die richtigen Schritte im
Bereich Global Governance initiiert werden:
ökosozial statt marktradikal.
Franz Josef Radermacher, Professor für
Informatik an der Universität Ulm, Vize-
präsident des Ökosozialen Forum Europa in
Wien sowie Mitglied des Club of Rome
E-Mail: radermacher@faw-neu-ulm.de;
www.faw-neu-ulm.de
Weiterführende Links:
www.clubofrome.de, www.oesfo.at,
www.globalmarshallplan.org
Talentierte Lösung 1:
Geld an die Gemeinde/Region binden
Der erste Schritt ist die Bindung von Geld in der
Gemeinde/Region und die Förderung von lokalen
Kreisläufen. Langenegg kann in diesem Bereich
auf wichtige Erfahrungen und die erfolgreiche
Einführung des talentierten Gutscheinsystems ver-
weisen. Besonders wichtig: das Zusammenspiel
von Bürgerinnen und Bürgern, der Gemeinde,
Raiffeisenbank, Lebenshilfe, den Vereinen und
Betrieben im Ort.
Talentierte Lösung 2:
Zusätzliche kommunale/regionale Geldschöpfung
und Geldkreisläufe schaffen
Der zweite, derzeit wichtigere Schritt ist das
Verfügbarmachen von zusätzlichem inflations-
sicherem Geld in Form von Talente-Geld. Es
ist durch Leistungsversprechen der Beteiligten
besichert und bleibt stabil dank zentraler
Aspekte der Talente-Philosophie wie der Zins-
freiheit. Das Talente-Geld ist vor allem in den
Bereichen Soziales (Nachbarschaftshilfe), Nah-
versorgung, Vereinsförderung sowie für Klein-
und Mittelbetriebe nachweislich wirksam.
So funktioniert es:
Alle Mitglieder führen ein eigenes Konto, ähn-
lich wie bei einer Bank, nur ohne Zinsen. Markus
liefert Riebelmais an Maria, bekommt dafür
Talente und bezahlt damit die Leistungen des
Sozialsprengels im Rahmen der Pflegesicherung
für seine Mutter. Franz, der dort mitarbeitet, wird
zu 50 Prozent in Talenten entlohnt. Mit diesen
bezahlt er beim Bäcker seinen Einkauf, etc.
Der erste Schritt ist zu prüfen, welche Fragen
und Anliegen eine Gemeinde/Region bewegen.
Im zweiten Schritt gilt es zu prüfen, wie die
talentierten Zahlungsmittel eingesetzt werden
können, um einen klaren Nutzen zu schaffen.
Dazu gibt es konkrete Unterstützung durch:
1.) „Gemeinde Gelder“: ein vom Büro für
Zukunftsfragen gefördertes Projekt für Gemein-
den/Regionen, das den Meinungsbildungsprozess
zu diesem Thema fachlich begleitet.
2.) „Gemeinschaft Vorsorge Nahversorgung“:
ein Interreg-Projekt über regionale Zahlungs-
mittel.
In unsicheren Zeiten machen Modelle, die ihre
Standfestigkeit bereits unter Beweis stellen,
Mut. Wie dauerhaft tragfähig diese Lösungen
sind, hängt auch an den gestaltenden Perso-
nen. Sie fördern so krisenfeste, spekulationsun-
abhängige Geld- und Wertschöpfung in
Gemeinden und Regionen.
Gernot Jochum-Müller,
Unternehmensberater und Obmann des
Talente-Tauschkreis Vorarlberg
E-Mail: gernot@jochum-mueller.at
http://www.talentiert.at
9
Vorarlberg spinnt ... oder doch nicht? Mitten in
der Finanzkrise probt eine Gruppe Talentierter
(Private, Betriebe, soziale Einrichtungen und
eine Gemeinde) den Aufstand mit eigenem
„sicherem“ Geld. Natürlich ist dieses Geld mit
Namen Talent nicht einfach vom Himmel gefal-
len. Es wurde 1995 geboren und beweist seither,
dass es zuverlässig und absolut stabil ist. 1800
VorarlbergerInnen nutzen das Talente-Geld; 2008
wurden in ca. 13.000 Geschäften über 2,5 Mio.
Talente umgesetzt.
In druidischer Voraussicht nutzt Langenegg seit
dem Frühjahr 2008 die talentierten Scheine, um
Kaufkraft ans Dorf zu binden und die Nahver-
sorgung aufrecht zu erhalten. Im ersten Jahr
wurden Langenegger Talente im Wert von über
97.000 Euro in Umlauf gesetzt. Jeder dieser
Scheine wurde mindestens ein weiteres Mal
eingesetzt. Was eine hohe Kaufkraftbindung
darstellt. Wie kommt’s, dass bereits vor über
zehn Jahren Menschen in Vorarlberg auf ein
ergänzendes Geld setzten? Eine hoch aktuelle
Spurensuche bei den Talentierten.
Unser herkömmliches Geldsystem ist auf men-
genmäßiges Wachstum ausgerichtet. Daraus
ergibt sich ein zyklischer Zusammenbruch von
Teilen des Wirtschaftssystems. Bei unserem
(nördlichen) Zinsniveau passiert dies einmal,
in südlicheren Ländern ca. zweimal in einem
(!) Menschenleben (Margrit Kennedy, 2008,
Philosophicum Lech zum Thema Geld). Der
systembedingte Wachstumszwang durchdringt
alle Bereiche unseres Lebens. In der Folge sind
wir als Gesellschaft nicht mehr fähig (willens),
zwischenmenschliche Bereiche, die geringe
oder keine Gewinne abwerfen (Bildung, Pflege,
Alterssicherung) zu finanzieren, und suchen
händeringend nach monetär „günstigen“
Lösungen. Gleichzeitig verstärken sich im her-
kömmliche Geldsystem die Gier des Systems
und die Gier der einzelnen, wie Banker derzeit
nur zu gerne bestätigen: Stichworte: mehr
Zinsen, höhere Gewinne ...
Fazit: Unser Geldsystem führt zu immer größe-
ren Geldmengen und erzeugt so wiederum
Wachstumszwang, der schlussendlich in Abwer-
tungen endet. Striktere Regelungen sind wich-
tig, lösen das eigentliche Problem unseres
Geldsystems aber nicht. Genau hier setzt das
Talente-Geld an. Es fördert regional leistbare
(Waren- und Dienstleistungs-)Kreisläufe und
eignet sich nicht zum Spekulieren. Doch wie
geht das?
Gernot Jochum-Müller Franz Josef Radermacher
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FINANZEN
WIRTSCHAFT
Ökosozial statt
marktradikal
Wie die Gallier,
der Krise zum Trotz!
Foto:
Talente-Tauschkreis
Ergänzendes Zahlungsmittel Talente-Tauschen
Neuordnung des globalen Wirtschaftens
„Mitten in der Finanz-
krise probt eine Gruppe
Talentierter den
Aufstand mit eigenem
sicherem Geld“
„In Demokratien wird
die Entschuldung nicht
dadurch gelingen, dass
die Bürger auf Ausbild-
ung für ihre Kinder
oder funktionierende
Infrastrukturen verzich-
ten, nur damit wenige,
die keine Steuern zahlen,
immer größere Vermögen
anhäufen“
Droht der freien Marktwirtschaft der Ausverkauf?
Foto:
Talente-Tauschkreis
Foto:
Urs
Oskar
Keller
Foto: Radermacher