Macht man einen Spaziergang
durch eine beliebige Häuser-
siedlung, so wird man zahllose
Beispiele für grandiose Ver-
schwendungen finden.
Es beginnt bereits damit, dass
solche Agglomerate eine
Verschwendung verfügbarer
Landschaft wie öffentlicher
Mittel (Straßenerhaltung,
Schneeräumung, Kanalisation
und so weiter) sind. Diese Art
der Verschwendung setzt sich in
den einzelnen Objekten fort, in
totem Raum, in unnützem
Zierrat und modischem Beiwerk.
Zumeist werden solche Häuser
für Familien geplant. Später zie-
hen die Kinder aus und die
Häuser werden nur noch von ein
oder zwei Personen bewohnt.
Wer immer ein Einfamilienhaus
errichtet, ist davon überzeugt,
dass sein Gebäude sehr schön
ist, sich von allen anderen abhe-
ben soll und die Zeit überdauern
wird. Tatsächlich wirken die
meisten dieser Bauwerke bereits
nach wenigen Jahren als habe
man es mit abgetragenen Kleidern zu tun.
Nicht zufällig sind im Hausbau gerade die
Repräsentationsflächen von Bedeutung. Ob
Tapeten, blumengeschmückte Fenster oder
Balkone, Malereien an der Hauswand, das
eigene Heim wird durch die Augen anderer
betrachtet. Ist das Neue zur Gewohnheit
geworden, so ist es schnell entzaubert und dem
Überholten zugeordnet. Der offene Kamin, ein-
mal selbstverständlich geworden, eignet sich
nicht länger dazu, sich von den anderen abzu-
heben. Bauherren sind darum bemüht, ihrem
Haus eine „persönliche Note“ zu verleihen,
sich mit Hilfe seiner Gestaltung abzugrenzen,
das Haus buchstäblich „umzuschmacken“.
Dies ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der
sich jeder behaupten, letztlich selbst erfinden
muss. Die „persönliche Note“ macht die Not
zur Tugend, kaschiert das Unverstandene als
produktive Leistung. Paradoxerweise hat das
Bemühen um Eigenart das Gegenteil zur Folge.
Alexander Mitscherlichschrieb angesichts der
Rundbögen, vorgekragten Blumenfenster,
mosaikumrandeten Entrees und schmiedeeiser-
nen Künstlichkeit: „Dem Bauherrn sei es
gestattet, seine Wunschträume mit seiner
Identität zu verwechseln.“
Funktionalität allein macht ein
Bauwerk noch lange nicht zu
einem schönen Objekt
Denke ich an funktionale Architektur, dann
fallen mir Schweinemast-, Fremdenverkehrs-
und Industriebetriebe ein. Hier wird auf all
das verzichtet, was nicht dem eigentlichen
Zweck dient. Bei großen Fremdenverkehrs-
betrieben lohnt es sich in den Keller zu gehen
und die Versorgungsleitungen zu betrachten,
mit denen etwa Gaststuben mit Getränken ver-
sorgt werden. Spätestens hier gibt es keinen
Zweifel mehr, dass wir es trotz aller Ober-
flächengestaltung mit höchst funktionalen
Gebäuden zu tun haben, dass „Gäste“ weniger
bewirtet als bewirtschaftet werden. Zweifellos
sind solche Bauten höchst funktional, eben auf
das reduziert, was den Planern als dienlich
oder gerade noch notwendig erschien. Das
bedeutet noch lange nicht, dass sie auch den
Menschen gerecht werden, die darin arbeiten
oder wohnen. Ein gelungenes funktionales
Wohnobjekt muss Bedürfnisse weiter fassen.
Ein funktionales Gebäude kann erst dann ein
schönes Gebäude sein, wenn es unterschiedli-
chen Bedürfnissen gerecht wird, Teil und
Ausdruck eines sozialen Gefüges ist.
Wohnraum soll den finanziellen
Möglichkeiten und den persön-
lichen Bedürfnissen entsprechen
Es fehlt nicht an Versuchen, Wohnobjekte
erschwinglicher zu machen, tatsächlichen
Bedürfnissen wie Einkommensverhältnissen
entsprechend zu planen. Wer heute ein Wohn-
objekt kauft oder für sich errichtet, arbeitet in
der Regel ein halbes Leben dafür. Dies müsste
so nicht sein. Freilich müsste man Wohnen
anders denken, bedürfte es anderer gesetzlicher
Regulative. Warum sollte man Wohnobjekte
nicht als das begreifen, was sie sind, nämlich
temporäre Objekte? Wo immer wir es mit dem
Wunsch zu tun haben, sich ein Haus zu bauen,
da haben wir es auch mit Irrationalem zu tun.
Man müsste sich genauer mit dem „Nesten“
befassen, welches weit über das Bedürfnis hin-
ausgeht, nur ein Dach über dem Kopf zu
haben, einen sicheren Ort. „Nesten“, dieses
Verhalten verbindet den Menschen mit Kühen,
Mäusen oder Vögeln. Vielleicht müsste man
Baukommissionen zu „Unterausschüssen des
Nestverhaltens“ umbenennen. Im Althoch-
deutschen meinte bauen („buam“) so viel wie
wohnen. Heute verstehen wir unter dem Bauen
nur noch so viel wie das Errichten von Bau-
werken. Von der ursprünglichen Bedeutung des
Begriffs sind wir abgekommen. Tiere tragen
ihre Rangkämpfe mit ihrem Körper aus. Der
Mensch tut dies mit Hilfe seiner dinglichen
Ausstattung, dazu zählt auch die Architektur,
ihre Möblierung und Ornamentierung.
Bernhard Kathan, Kulturhistoriker,
Schriftsteller, Künstler.
Lebt und arbeitet in Innsbruck und Fraxern
www.hiddenmuseum.net
Mein persönlicher Wohntraum: „Ein ausschließlich
von meiner Hand erbautes Gebäude, voll-
kommen auf das Notwendigste reduziert.“
Meine Wohnrealität: „Ich lebe in einer großen
Gründerzeit-Wohnung in der Stadt und
temporär in meinem selbst erbauten
Objekt in den Bergen.“ Bernhard Kathan
Bernhard Kathan
DER
KRITISCHE
BLICK
Foto:
Karin
Luger
Der Architekt Angelo Roventa hat sich intensiv mit
funktionalen Wohnobjekten beschäftigt. Als ein
Beispiel sei ein von ihm in Hohenems realisiertes
Wohnhaus aus Industriecontainern genannt. In
seinem Projekt smart_ LIVINGUNIT geht er einen
Schritt weiter, verspricht dieses doch eine
Multiplikation der Nutzfläche.
Dank eines variablen Modulsystems, dessen
Elemente sich von Hand oder maschinenbetrie-
ben verschieben lassen, lässt sich ein und der-
selbe Raum wie die Bühne in einem Theater in
kürzester Zeit umgruppieren und die Nutz-
fläche bis auf das Vierfache vergrößern. Da es
im Gegensatz zum Theater keine Räume hin-
ter, über oder unter der Bühne gibt, ist von der
Nutzfläche jeweils jener Raum abzuziehen, den
die komprimierten, aber nicht verwendeten
Module benötigen. Das modulare Möbelsystem
gewährleistet aufgrund verschiedener Raum-
arrangements sämtliche Funktionenmit dem
Komfort einer herkömmlichen Wohneinheit.
Die Funktionen können innerhalb der Wohn-
einheit simultan oder der Reihe nach aktiviert
werden.
Optimale Raumnutzung bei
geringstmöglichen Kosten
Zweifellos erfordert smart_LIVINGUNIT eine
gewisse Disziplin, soll das System optimal ge-
nutzt werden. Auf jeden Fall würde Wohnen
tendenziell zu Arbeit. So wäre die Person, die
in einer smart_ LIVINGUNIT wohnt, ständig
angehalten, den Raum anlassgerecht umzu-
strukturieren.
Ein höchst zeitgemäßes Projekt
Während die meisten Architekten davon leben,
unverwechselbare Unikate zu schaffen, arbeitet
Angelo Roventa an einem bestmöglich durch-
dachten und multiplizierbaren Objekt bzw.
Wohnprodukt, welches für den Nutzer nicht
allein finanzierbar sein, sondern ein breites
Spektrum an Gestaltung ermöglichen soll. Ob
smart_ LIVINGUNIT zu einer Art „tätigem
Wohnen“ führenwird, wird weniger von den
Intentionen des Architekten als vom jeweiligen
Nutzer wie vom gesellschaftlichen Umfeld
abhängen, in dem sich dieser bewegt.
Bernhard Kathan
... zu funktionellen Wohnobjekten
INNOVATIVES
WOHNEN
Elastisches Wohnen in der Wohnmaschine
Mein persönlicher Wohntraum:
„Die
raum-
bildenden Elemente (Bausteine) meines
Wohntraums sind die Menschen, die ich
liebe, architektonische und andere
Aspekte spielen eine untergeordnete
Rolle.“
Meine Wohnrealität:
„Meinem Traum
entsprechend.“
Angelo-Silviu Roventa
Dornbirn und Wien,
roventa@aon.at
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„Ich betrachte den gegenständlichen Prototyp als
didaktisches Modell und plane demnächst konkrete
Gespräche in Richtung Kooperation mit interessier-
ten Vorarlberger Unternehmen. So hätte die
smart_LIVINGUNIT das Potential, ein seriell gefer-
tigtes, lokales Produkt mit globaler Beachtung zu
werden.“ Angelo-Silviu Roventa
„Mit smart_LIVINGUNIT möchte ich eine zeitge-
nössische Antwort auf die Probleme zum Thema
Wohnen, Leistbarkeit, Energieeffizienz und
Nachhaltigkeit geben. Mein Lösungsvorschlag stellt
endlich den Nutzer ins Zentrum des Projektes.“
Angelo-Silviu Roventa
Foto:
Heiko Moosbrugger
Foto:
Karin
Luger
Von der Verschwendung ...
Foto:
Bertolini
LDT
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Prototyp und 1:1-Modell der
smart_LINVINGUNIT bei der Ausstellung
„Wohnmodelle weltweit“ im vai Dornbirn.