Literatur:
Dangschat, J.S. (Hrsg.) 1999: Modernisierte Stadt –
Gespaltene Gesellschaft. Ursachen von Armut und
sozialer Ausgrenzung. Opladen: Leske + Budrich.
Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.) 1997: Was hält die
Gesellschaft zusammen? Frankfurt am Main:
Suhrkamp.
Meuser, Michael 2013: Diversity Management –
Anerkennung von Vielfalt?. In: L. Pries, (Hrsg.):
Zusammenhalt durch Vielfalt? Bindungskräfte der
Vergesellschaftung im 21. Jahrhundert, Springer VS
Verlag, Wiesbaden: 167-181.
Terkessidis, Mark 2011: Integration ist von gestern,
„Diversity“ für morgen – Ein Vorschlag für eine
gemeinsame Zukunft. In: W.-D. Bukow, G. Heck,
E. Schulze & E. Yildiz (Hrsg.): Neue Vielfalt in der
urbanen Stadtgesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag
für Sozialwissenschaften: 189-206.
WKÖ-Wien (Wirtschaftskammer Österreich,
Wien) (Hrsg.) 2013: Diversity Management. Ein
Leitfaden für die Praxis. Wien: WKO. www.wko.
at/Content.Node/Charta-der-Vielfalt/Leitfaden_
Diversity-Management_2011-11-24.pdf, Zugriff
am 8.8.2014.
Der Begriff Vielfalt wird sehr häufig dann
angewendet, wenn befürchtet wird, dass der
Zusammenhalt in der Gesellschaft brüchig
wird. Damit wird Kohäsion zum Mittel gegen
die gesellschaftlichen Tendenzen des Auseinan-
derstrebens, die sich folgendermaßen auswirken
können:
. Die Schere zwischen Armut und Wohlstand
nimmt wieder zu,
. der Altersaufbau verschiebt sich zugunsten
der Älteren (greying society),
. der Anteil an Menschen mit Migrations-
hintergrund nimmt zu,
. die Wertvorstellungen differenzieren sich
aus, was sich in unterschiedlichen sozialen
Milieus und Lebensstilen niederschlägt.
Schließlich überträgt sich die Ausdifferenzie-
rung durch die Wahl des Wohnstandortes
beziehungsweise die Mobilität in den Raum.
Damit nimmt auch das Ausmaß der
Interessensunterschiede und deren Artikulation
zu, was wiederum dazu führt, dass die Gesell-
schaft sozial und räumlich stärker auseinander-
driftet beziehungsweise es zu neuen Formen
der Vergemeinschaftung kommt (vgl. Heitmeyer
1997, Dangschat 1999). Darauf wird in zweierlei
Weise reagiert.
Erstens: der sozialarbeiterische
Zugang der „Sozialen Stadt“
Mit der Rolle Österreichs als Einwande-
rungsland ist die Integration der Zugewander-
ten zu einer der größten sozialpolitischen
Aufgaben der Städte und Gemeinden geworden.
Dabei sind die letzten Jahre zunehmend vom
Übergang von einer reinen Klientelpolitik zu
Gunsten von Interventionen an den Orten
geprägt, an denen „problematische“ Haushalte
wohnen (Quartiersmanagement). Zugewanderte,
arme und bildungsferne soziale Gruppen sind
also die größte Herausforderung für eine
gesellschaftliche Integration.
Die Integration von Ausländern wird
jedoch eher tabuisiert, letztlich auch, weil
Politiker nicht sicher sind, ob die eigene
Wählerklientel es gut heißt, wenn Zugewan-
derte hinsichtlich Bildung, Wohnraum und
Sozialtransfers eine besondere oder auch nur
gleichwertige Unterstützung erfahren. Bis heute
wird von manchen Politikern die Zuwanderung
als „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“
diskreditiert.
Mit dem Wort Vielfalt wird die schwierige
Integrations-Debatte vermieden; die Heraus- und
oftmals Überforderung der Integration fremder
Kulturen, Wertemuster und Verhaltensweisen
wird kulturell überformt und so „verharmlost“.
Zweitens: der unternehmerische
Zugang des Diversity Management
Seit den 1990er Jahren hat sich innerhalb
von Branchen der neuen Dienstleistungen
ein anderes Verständnis von Diversity Manage-
ment etabliert. In den Bereichen, die stark
auf Kreativität und daraus wachsenden Inno-
vationen setzten, war Vielfalt von Beginn an
ein wichtiges Kapital. Das Credo lautet: Bringe
unterschiedliche Geschlechter, Nationalitäten,
Lebensentwürfe, Wertvorstellungen, Altersgrup-
pen und Lebensstile zusammen, unterstütze
das „Aufeinanderprallen“ unterschiedlicher
Sichtweisen, Interpretationen, Wertungen,
Erfahrungen und Routinen und „ernte“ neue
Ideen, Verfahren, Produkte und Marketing-Bot-
schaften. Laut der Wirtschaftskammer Öster-
reich bringe das Einbeziehen von Vielfalt klare
Vorteile für die heimische Wirtschaft (WKÖ
Wien 2013: 1).
Im Gegensatz zum sozialintegrativen
Verständnis der sozialarbeiterischen Stadtpla-
nung, die mit der vorhandenen Vielfalt vor
Ort „arbeitet“, wird beim betrieblichen Diversity
Management jedoch nur diejenige Vielfalt
wertgeschätzt, die sich als Humankapital
Der Wert der Vielfalt
und die Gefahr der Beliebigkeit
Vielfalt wird als Voraussetzung für ökonomische
Wettbewerbsfähigkeit, soziale Integration und das
Überleben des ökologischen Systems Erde angepriesen.
Die negativen Aspekte und vor allem die Ambivalenzen
werden jedoch meist interessengeleitet unterschlagen.
03 vielfalt
Dr. Jens S. Dangschat ist Professor für Siedlungs-
soziologie und Demographie an der Technischen
Universität Wien, Department für Raumentwick-
lung, Infrastruktur- und Umweltplanung; Leiter
des Fachbereichs Soziologie.
positiv auf den Markterfolg des Unternehmens
auswirkt (Meuser 2013: 168). Erst unter dieser
Einschränkung wird „Vielfalt“ nicht mehr als
ein Problem, sondern als Human Resource ange-
sehen. Damit ist Vielfalt kein Problem (mehr),
sondern sie wird zur Lösung der Herausforde-
rungen (gemacht) (Terkessidis 2011).
Skepsis zuletzt
Ein letzter Gedanke: Sprachliche, religiöse
und normative Unterschiede zwischen der
„Aufnahmegesellschaft“ und den Zugewander-
ten ist nur eine der trennenden Linien inner-
halb einer vielfältigen Gesellschaft. Für diejeni-
gen, die den Diskurs politisch korrekt führen,
ist diese Linie nahezu unproblematisch. Wie ist
es aber mit Vorstellungen über Umweltschutz,
Kindererziehung, Mobilität, parteipolitischen
Präferenzen und Geschlechterrollen – wollen
wir auch dann von den „Anderen“ lernen?