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Full text: Vorum 1997 - 2015 (1997 - 2015)

Wertvoll ist, was selten ist 
Die Naturvielfalt zwischen Bodensee und Piz Buin 
befindet sich im Wandel. Es ist höchste Zeit, die 
Gefahren zu erkennen und Chancen für eine gute 
Entwicklung zu nützen. 
Die weltweit größte Artenvielfalt finden wir in Mitteleu- 
ropa. Wirklich? Haben wir nicht gelernt, dass die meisten 
Pflanzen und Tiere in tropischen Regenwäldern leben? 
Nun, bei großräumiger Betrachtung stimmt dies auch. 
Zoomen wir aber auf eine Fläche von wenigen Quadrat- 
metern, dann wachsen in mitteleuropäischen Magerwie- 
sen mehr unterschiedliche Gräser und Blumen als in 
jedem anderen Lebensraum der Erde. 
Wird die Wiese gedüngt, verschwindet die Blumen- 
vielfalt. Bauern, die ihre bunten Magerwiesen heute noch 
in traditioneller Weise einmal pro Jahr mähen, erhalten 
ausgesprochen artenreiche Lebensräume – unverzichtbare 
Elemente einer attraktiven Kulturlandschaft. 
Natürlich ist die landschaftliche Vielfalt Vorarlbergs 
auch durch die geografische Lage am Nordrand der Alpen 
bedingt: Auf vergleichsweise kleinem Raum erstreckt 
sich die Landesfläche über unterschiedlichste geologische 
Zonen, vom Alpenvorland mit dem Bodensee über die 
Kalkalpen bis zu den kalkfreien Zentralalpen mit dem 
über 3.000 Meter hohen Piz Buin im Montafon. 
Grenzräume zwischen Natur- und Kulturlandschaft 
Der Großteil der Bevölkerung lebt und arbeitet in 
den Talräumen. Zugleich finden wir hier die produktivs- 
ten und am intensivsten genutzten Landwirtschaftsflä- 
chen. Trotz der vielfältigen, oft auch konträren Nutzungs- 
ansprüche sind im Rheintal und im Walgau aber noch 
erstaunlich großflächige Riedlandschaften erhalten –   
herausragende Lebensräume für seltene Pflanzen- und 
Tierarten und zugleich stark frequentierte Naherholungs- 
gebiete. Konflikte zwischen Nutzung und Bewahrung 
bleiben daher nicht aus. 
Riede mit ihren Streuwiesen sind extensiv genutzte 
Moore – Lebensräume, für die Vorarlberg eine besondere 
Verantwortung trägt. Denn hohe Niederschlagsmengen 
sorgen für einen Moorreichtum, der seinesgleichen sucht. 
Der hintere Bregenzerwald gilt gar als der moorreichste 
Naturraum Österreichs. 
Und natürlich ist da der Bodensee mit seiner ein- 
drucksvollen Uferlandschaft – ein sensibler Naturraum 
und wichtiger Erholungsraum nicht nur für die Bevölke- 
rung des Rheintals. 
Vielfältige Nutzung 
Kurze Distanzen erlauben, ohne großen Aufwand   
die landschaftliche Vielfalt Vorarlbergs vom Tal bis ins 
Hochgebirge zu erleben. Besonders attraktiv sind die 
traditionellen Wiesen- und Weidelandschaften, entstan- 
den durch jahrhunderte- und jahrtausendelange Nutzung. 
In den Mittelgebirgslagen finden wir diese oft eng 
verzahnt mit Wäldern und den höher gelegenen Natur- 
räumen, in denen menschliche Aktivitäten zumindest auf 
den ersten Blick kaum erkennbar sind. Dieses Nebenein- 
ander unterschiedlicher Nutzungsformen, mit langen 
Grenzlinien durch Waldränder und Ufergehölze, schafft 
eine äußerst ansprechende Vielfalt. Kein Wunder, dass 
traditionelle Kulturlandschaften auch aus touristischer 
Sicht unverzichtbar sind. 
Je höher und steiler das Gelände, desto mehr gehen 
die Kulturlandschaften in Naturlandschaften über. Dabei 
sind die Grenzen fließend. Oft haben sich die Grenzen in 
den vergangenen Jahrhunderten auch verschoben.   
Im Berggebiet wird so manche Fläche, die einst gemäht 
oder beweidet wurde, heute wieder der natürlichen 
Entwicklung überlassen. Die Landschaft verändert sich 
dadurch – ob positiv oder negativ, liegt im Auge des 
Betrachters. 
Viele Tourismusbroschüren werben mit Fotos 
der unberührten Gebirgslandschaft. Kleinwalsertal, 
Hochtannberg, Arlberg, Verwall, Silvretta, Rätikon oder 
Lechquellengebirge sind Regionen, in denen diese Natur- 
räume manchmal in nächster Nähe zu viel besuchten 
Tourismusdestinationen liegen. Darin liegt auch die 
Bedeutung der weniger erschlossenen Landschaften: Sie 
sind Ausgleichsräume – Rückzugsgebiete nicht nur für 
die Tierwelt, sondern auch für uns Menschen. Erholungs- 
suchende und Gäste in den Tourismusorten schätzen 
die Ruhe dieser Gebiete. 
Natur gerät unter Druck 
Der Landschaftswandel hat natürlich längst die hoch 
gelegenen Regionen erfasst. Kultur- und Naturlandschaf- 
ten geraten auch im Gebirge zunehmend unter Druck. Im 
Vergleich zu vergangenen Generationen agieren wir mit 
moderner Technik scheinbar immer unabhängiger von 
den naturräumlichen Rahmenbedingungen. Manchmal 
scheint es, als gebe es für Bebauungen oder Erschließun- 
gen mit Wegen und Straßen keine natürlichen Grenzen 
mehr. Auch die Freizeitindustrie forciert den Landschafts- 
wandel durch Lifte und Seilbahnen, deren Aus- und 
Neubau seit einigen Jahren wieder verstärkt betrieben 
wird und oft in bislang kaum erschlossene Naturräume 
vordringt. Die Folge dieser Entwicklung ist ein Verlust an 
Landschaftsvielfalt, eine Nivellierung der Landschaft und 
damit unweigerlich ein Verlust an Attraktivität. 
Wertvoll ist, was selten ist. Dies gilt für naturnah 
bewirtschaftete Kulturlandschaften gleichermaßen wie 
für wenig erschlossene Naturlandschaften. Wenn wir das 
gesamte Spektrum der für Vorarlberg typischen Natur- 
raumvielfalt erhalten wollen, brauchen wir beides: nicht 
erschlossene Räume und vielfältige, also in traditioneller 
Weise genutzte Landschaften, die zwischen Bodensee 
und Silvretta glücklicherweise noch in unterschiedlichs- 
ter Ausprägung erhalten sind. Es existieren rechtliche, 
finanzielle und raumplanerische Instrumente zur Erhal- 
tung dieser naturräumlichen Vielfalt. Jüngstes Beispiel 
sind die Bemühungen um die Ausweisung nicht erschlos- 
sener Gebirgsräume, der sogenannten „Weißzonen“. 
Chancen nutzen 
Kaum etwas erfreut Wanderer und Erholungs- 
suchende mehr als eine bunte Blumenwiese. Die Vielfalt 
einer Magerwiese symbolisiert im Kleinen, wie wir die 
Entwicklung im Großen steuern können. Die uns heute 
zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bedeuten also 
zugleich Chancen und Gefahren. Bleibt die Hoffnung, 
dass wir künftig vor allem die Chancen erkennen. 
04 vielfalt 
Mag. Markus Grabher ist Biologe und leitet das Umweltbüro 
Grabher (UMG) in Hard. Zu den Schwerpunkten zählen bota- 
nische und zoologische Bestandserhebungen, Konzepte für 
Landnutzung, Planung, Beratung, Erstellen von Gutachten 
und Fotografie.
	        
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